Poaaaaa macht jemand den Wecker
aus...
5Uhr morgens,
auaaaaaa...
Das ist definitiv nicht mehr
meine Zeit.
Ich fühl mich wie ein Astronaut
der nach einem Jahr im Weltall zum ersten Mal wieder die Schwerkraft zu spüren bekommt.
In solchen Momenten neige ich
dazu, innerlich zu fluchen und mich selber zu beleidigen, wie ich mich in so eine Situation manövrieren konnte.
An diesem Morgen war ich sehr
hart mit mir ins Gericht gegangen.
Einzelheiten meines innerlichen
Mono/Dialogs erspare ich besser, falls hier auch Kinder mitlesen ;))
Um 6Uhr vor dem Hotel hat sich
dann mein Seelentourette Einigermaßen beruhigt und äußerte sich dann eher in Schweigsamkeit.
Kalt, dunkel und Nachtduft
sorgten für eine seeehr müde Grundstimmung.
Wir begrüßten uns, probierten
mit Galgenhumor zumindest die Grundstimmung nicht in den Keller fallen zu lassen und liefen los.
Nach ca. 1km lief dann
aufeinmal ein Mitte 50ig jähriger vor uns.
Ein freundliches Buen Camino
reichte um den Kommunikationsdrang des Herren zu aktivieren.
Er stellte sich als Gerhard
vor, wie gesagt Mitte 50 aus dem Süden von Deutschland.
Zunächst wirkte er, wie ein
älterer, knürriger Herr mit ner Kleinen Portion Zynismus in jedem 3ten Satz.
Er teilte direkt ein paar
Erfahrungen vom Camino und ein paar Lebensgeschichten mit uns, so das die ersten km wie im Flug vergingen.
Ich fand es ganz unterhaltsam
und er schien wohl ganz froh zu sein uns getroffen zu haben, weil er im Dunkeln nicht gerne alleine im Wald rum läuft.
Er meinte, das die Gefahr zu
groß ist, dass man mal wegen fehlender Lichtverhältnisse falsch abbiegt und keiner da ist, dem das auffällt.
Zunächst schien es also eine
win win Situation.
Wir zogen uns alle die
Stirnlampen auf und dann ging es ab über Stock und Stein im stockdüsteren Märchenwald...
Das Verletzungsrisiko war
meiner Meinung nach um einiges höher, da du selbst mit Stirnlampe nich komplett sahst wo du hintratest.
Umknicken oder wegrutschen
konnte dir bei jedem Schritt wiederfahren.
Nur gut das wir ja schon nen
paar Wochen erprobt waren und das Handicap halbwegs mit Erfahrung ausgleichen konnten.
Nach 5km kam dann auch ein
kleines Café auf dem Weg, wo wir erstmal ne Stärkung zu uns nehmen konnten und mit nem frisch gepressten Orangensaft die Stimmung ein wenig ankurbeln konnten.
Hier stellte sich dann langsam
raus, das der liebe Gerhard, nicht nur leicht zynisch war, er war ein wahrer Grunmelkopp der über alles und jeden was zu lästern hatte!
Als wir weitergingen
intensivierte sich das nochmal und er redete sich förmlich in Rage über die Politik , über die Justiz und über die Gesellschaft die so doof ist und alles garnicht bemerkt.
Danni und Simon war es dann
irgendwann auch genug und so kam ich in den Genuss, das er sich vollkommen mir allein widmen konnte ;)
Irgendwie mag ich ja so
quengelnde Opis und hörte auch trotzdem aufmerksam zu.
Für solche Momente habe ich so ein Filter im Ohr, der
alles wegblendet was beleidigend oder gefrustet klingt und so kommt dann bei mir nur das an, was er eigentlich sagen möchte, ohne radikale Nebengeräusche ;)
Um 9Uhr morgens hatte wir schon
13km hinter uns und lagen echt super im Zeitplan, bis
wir an einer Ecke an einer Bar vorbei gingen, wo überall leere Bierflaschen runter hingen.
Danni kannte den Laden noch vom
letzten Jahr und wollte unbedingt dort was trinken und nen Foto machen.
Da wir heute 40km vor uns
hatten und wir gerade erst Pause gemacht hatten, wollte ich aber nicht schon wieder rasten.
Lieber morgens erstmal km
machen und dann nachmittags, wenn man müder wird, ein wenig mehr Pause machen.
So ging ich mit Gerhard weiter
und die anderen beiden machten Dannis Nostalgie-Rast.
Nach 10 weiteren km musste ich
dann aber auch mal wieder durchschnaufen und konnte ne Stärkung vertragen.
Eigentlich mag Gerhard das
nicht, zu viel Pause zu machen, aber für mich machte er eine Ausnahme.
Zumal er mich fragte, ob ich
ihn mit seinem Handy helfen könnte.
Er konnte nämlich nicht
angerufen werden und irgendwas stimmte mit seinem Handynetz nicht.
So ließen wir uns an einer Bar
an der Hauptstraße nieder, um die anderen beiden nicht zu verpassen und ich versuchte mal bei dem älteren IPhone dem Problem auf die Spur zu kommen.
Wärend dessen bereicherte mich
Gerhard mit seinem Hass auf die Justiz und seinen veralteten und verbitterten Ansichten, was er so mit gewissen Menschen machen würde.
An die Wand stellen war noch
einer der netten Formulierungen, die meine Ohren regelmäßig zum klingeln brachten.
Langsam war ich mir auch nicht
mehr sicher, ob er überhaupt noch wusste , was er da so von sich gab und zweifelte auch das anfänglich sympathisch wirkend knürrige an.
Nachdem ich sein Handy wieder
zum Laufen bekam und er sich 1000x bedankte, da jetzt sein Sohn ihn wieder erreichen konnte, sah ich es wieder von der Seite, das ich vom Camino ausgewählt wurde ihm zu helfen.
Wenn der Camino das so
entscheidet, Zweifel ich einfach mal nicht an, ob der Mensch es auch verdient hätte.
Aus seinen Erzählungen wurde
ziemlich deutlich, das viele Menschen es nicht lange mit ihm aushielten und somit hätte vermutlich niemals jemand ihm bei seinem Handyproblem geholfen.
Musste erst der tolerante und
abgehärtete Grieche vorbei kommen, der trotzdem hilft, auch wenn der hilfsbedürftige anscheinend starke psychische Probleme mit sich trägt ;)
Nach ner 3/4 Stunde sah ich
dann auch endlich Danni und Simon, wie sie wieder aufgeschlossen haben.
Als sie sich dann zu uns
setzten, wurde die Unterhaltung zunehmend angespannter, da Danni und Simon dem Gemotze nur wenig abgewinnen konnten und Simon dann zwar trotzdem recht locker damit umging, aber sich sichtlich
immer provozierter fühlte, ein paar Spitzen auf die Hasskommentare zurück zu werfen.
Gerhard merkte das dann aber
auch und nahm sich glücklicherweise ein kleines bisschen zurück.
Toll das er es doch noch merkt,
dass nicht jeder mit gewissen Äußerungen umgehen kann und er dann doch wenigstens ein bisschen reflektieren kann, besser die Klappe zu halten.
So gingen wir zwar wieder
zusammen los, aber die Grüppchenbildung blieb.
Nach ca. ner Stunde und
weiterer Hasspredigten fing ich an, mir den lieben Gerhard weg zu wünschen.
Irgendwann ist auch meine
Geduld aufgebraucht und ich konnte diesen negativen Mist über alles und jeden nicht mehr hören.
Just in diesem Moment, wo ich
genau diesen Gedankengang hatte, kam er an und meinte er müsse mal ein wenig für sich laufen.
Wieder einfach nur Zufall, oder
hat der Camino meine Gedankengänge erhört?
Wie auch immer; Mir viel ein
Stein vom Herzen.
Schnell suchte ich wieder den
Anschluss zu den anderen beiden und wir konnten gemeinsam aufarbeiten, was er doch anscheinend für psychologische Probleme hatte ;)
Mehr als die Hälfte vom Weg war
geschafft und wir waren noch Putzmunter.
Das Gute war, dass durch sein
Gebrabbel die Zeit echt wie im Flug verstrich.
Die restlichen 16km würden wir
auch noch locker packen.
Danni hatte sich einen
Tattootermin gemacht, da sie unbedingt am Ende des Weges sich etwas verewigen wollte.
Wir mussten also spätestens bis
17-18 Uhr in Santiago ankommen, sonst würde sie ihren Termin verpassen.
Fokussiert und voller Neugierde
auf Santiago zogen wir also weiter und weiter.
Gegen 15Uhr waren wir nurnoch
6km weit entfeent und genehmigten uns erstmal einen riesigen Tinto in einer abgelegenen Bretterbude für Getränkeaufnahme ;)
Dort saß ein Ehepaar um die 40,
was wir auf dem Weg schon öfter zusammen mit 2 Mädels Pause machen gesehen haben.
Wir dachten es wäre eine
Familie, aber wie sich rausstellte, war das Ehepaar mit den beiden Mädels den Küstenwwg gegangen. Die haben sich dort kennen gelernt und waren dann wohl ständig zusammen weiter gelaufen, bis
der Küstenwwg irgendwann auf dem Camino Frances einmündet.
Sie berrichteten, das der
andere Weg wohl um einiges ruhiger ist und man viel weniger Menschen trifft.
Ich hab von dem Küstenweg
gelesen, habe aber auch vernommen, das dieser sehr anspruchsvoll sei, da es dort viel auf und ab geht.
Für Einsteiger nicht unbedingt
zu empfehlen.
Die beiden waren echt
super.
Er sah ein wenig aus wie Jürgen
Klopp und hatte auch ähnlich trockenen Humor.
Sie war ne ganz feine und
ruhige Seele , quasi wirklich wie die Mama der Truppe die zudem mega freundliche Augen hatte.
Wir haben bestimmt ne
Dreiviertelstunde mit den beiden geschnackt und die Zeit völlig außer acht gelassen.
Solch Menschen, die von der
ersten Sekunde warmherzig und humorvoll sind...
Warum trifft man solch Menschen
immer nur so selten ....?!
Dann kamen die zurückliegenden
Mädels und wir zogen langsam wieder los.
1 Stunde noch, dann haben wir
800km gemeistert ;)
Nach nem km hatten uns die 4
schon wieder eingeholt und wie blödelten alle in der Gruppe rum.
Wir sangen, erzählten Witze ,
parodierten berühmte Filmszenen und gaben einfach nochmal alles.
Dann kamen wir an einem letzten
Aussichtspunkt an, bevor es direkt auf Santiago zu ging.
Danni und Simon wurde sichtlich
emotionaler , worauf wir 3 dann wieder alleine los sind.
Und da war sie dann, die
Stadt.
Santiago de
Compostella.
Irgendwie war es so surreal,
die Schilder, der Stadteingang, alles irgendwie, wie auch die Städte davor...
Andererseits war es Santiago,
das Ziel...
Nicht mehr lang und wir stehen
vor dieser Kirche!
Ohne Kirche, hatte ich aber
irgendwie keine Emotions.
Simon und Danni dafür umso
mehr.
Sie stritten sich, weil Simon
rum klüngelte und rum alberte, obwohl Danni schnell weiter wollte um ihren Termin nicht zu verpassen.
Sinnbildlicher hätte man nicht
den Unterschied vom Jakobsweg zum normalen Leben bezeichnen können.
Den ganzen Weg haben sich die
beiden nicht einmal gestritten, ganz im Gegenteil, sich sogar oft gegen mich verschworen, wenn ich mal meine 5min hatte und waren stets immer super tolerant zueinander..
Sobald man aber wieder in der
Zivilisation ist , kommen direkt wieder Termine, welche man nicht verpassen möchte.
Solche findest du vorher auf
dem Weg halt nicht...
Da gibt es keine dringenden
Termine, die einen zu Stress verleiten können.
So war Danni unter Strom, weil
sie sich natürlich auch sehr auf ihr neues Tattoo freute und das auf keinen Fall verpassen wollte.
Nachdem wir also 30min durch
die Stadt liefen und keiner ein Wort sagte, musste ich beide mal ein wenig aufrütteln, dass ich keinen Bock hatte mit 2 beleidigten Lebewürsten ein zu marschieren.
So rissen sich beide zusammen und wir konnten wieder gemeinsam Lächeln...
Aufeinmal kippte die Stimmung
erneut und ich wusste nicht, was jetzt wieder passiert ist...
Simon fing an zu weinen
....
Ich guckte Danni kritisch an,
ob sie erneut was gemacht hat, dann fragte ich, was denn los sei...
Ihn hat es einfach ergriffen
gehabt, alles ist zuende.
Er wünschte sich die Zeit
zurück und sprach davon, wie schön es war, das wir 3 uns gefunden hatten und das er sehr dankbar dafür war.
Mensch, das war harter
Stoff!
Ich kann ja mit weinenden
Menschen sehr schwer umgehen..
Aber irgendwie fand ich es auch
cool und ich versuchte nach zu empfinden was ihn so bewogen hat.
Es heißt ja, jeder würde
mindestens einmal auf dem Jakobsweg weinen.
Danni hat es am Anfang vor Wut,
weil sie so Schmerzen hatte und nicht aufgeben wollte, er hatte es wohl auch vorher schon einmal, weil ihm eine Geschichte sehr nah ging und jetzt, weil er vom gesamten ergriffen war und ich
kaltes arsch hab immer noch nicht geweint.
Egal wie sehr ich mich
anstrengte, es wollte aber kein Gefühl aufkommen, was hätte eine Träne hätte hervorrufen können.
Ich glaub ich bin einfach für
sowas nicht gemacht...
Schwitzen durch die Augen,
verweigert mein Körper und meine Seele .
Selbst als wir endlich vor
dieser riesigen Kirche ankam, rührte sich nichts.
Es war eher Freude gepaart mit
Neugierde, die sich dem Platz und der Kulisse widmete.
Hunderte Menschen lagen, saßen
, standen vor der Kirche.
In Gruppen und sowie
vereinzelt.
Manche unterhielten sich,
andere posierten für die Fotos und manch andere lagen einfach nur da und starrten in den Himmel.
Ich hatte vorher noch Zigarren
besorgt und so posierten wir schön vor der Kirche, pafften unsere Zigarre und machten gegenseitig voneinander Fotos ...
Aufeinmal steht da Gerhard vor
uns.
Och neeeee.
Gerhard, scheiss timing
;))
Er habe extra auf uns
gewartet...
Plauderte uns zu, wo er noch
die Tage hingeht, wie lange er bleibt und was er morgen so macht.
Als er dann fragte ob wir uns
nicht morgen treffen wollen und die anderen beiden sich einfach weg gedreht haben , verstand er wohl, das wir erstmal ankommen wollten...
Da verschwand er dann entgültig
, ohne sich zu verabschieden und kehrte uns für immer den Rücken ;)
Bisschen leid tat er mir ja
schon, aber direkt nach der Ankunft so überfallen zu werden, nääää , das ging nicht lieber Gerhard ;)
Wir legten uns dann vor die
Kirche und ließen einfach alles auf uns wirken.
Die 40km in den Knochen merkten
wir garnicht!
Es war eher so, als wenn der
ganze Ballast, der ganze Fokus und das ganze Projekt in einem einzigen Moment von deinen Schultern fällt.
Auch wenn keine Träne floss,
war ich glücklich!
Alleine schon deswegen, das ich
endlich nicht mehr früh aufstehen muss und jeden Tag laufen und laufen muss ...
So gut das einem ja getan hat,
aber man hat funktioniert...
30km Latschen gehört nach wie
vor nicht zu meinem Hobbys.
Das konnten auch 35 Tage
Jakobsweg nicht ändern ;)
Als ich das Zielfoto gepostet
habe, kamen so viele Gratulationen und Zusprüche, das ich mich jetzt auch einfach darauf freute ,
wieder nach Hause zu kommen um mit meinen Herzmenschen meine Erfahrungen teilen zu können.