Portomarin - Palais de Rei

709,93 km

Die Reise neigt sich dem Ende ;/

In einer Wohnung schläft es sich ja doch am schönsten ;)

Eigentlich wollten wir mal wieder früher aufstehen, aber die Gemütlichkeit siegte dann doch erneut.
Wenn man 700km kein Musterfrühaufsteher ist, muss man es auf die letzten Tagen auch nicht mehr versuchen ;)

Wir räumten unsere Sachen zusammen, guckten das wir die Wohnung sauber und ordentlich zurücklassen, steckten Obst und Kekse vom Vermieter in die Taschen und verewigten uns, wie von der Tochter gebeten, als erste in dem Gästebuch.

Am Tor konnten wir uns noch verabschieden und uns für die sehr herzliche Gastfreundschaft bedanken.

Beim loslaufen überkommt mich immer mehr Wehmütigkeit, das es nur noch 2 Tage sind und dann alles vorbei ist.
Es ist schon komisch, wie man die ganze Zeit einfach nur treibt und sich garnicht großartig Gedanken macht.
Man genießt jeden Tag, stellt sich die ein oder andere Frage für sein Leben, schaut das man seine km abgespult bekommt und schaut neugierig jeder neuen Situation entgegen.
Dann kommt dieser Augenblick, wo man weiß, das man nicht mehr viel neues sehen wird, das es bald vorbei ist und man bald in sein altes Leben zurück kehrt.

Danni hatte das schon ein paar Tage vorher und ich muss zugeben, dass ich dachte ; Frauen ;))
Immer so emotional und sind schon immer vorher traurig, bevor eine Sache wirklich zuende ist ...

Jetzt konnte ich mich aber auch nicht mehr der Traurigkeit verschließen.

Vielleicht nicht unbedingt wegen dem ständigen früh aufstehen und ständigen km abspuhlen, aber die Natur, die Menschen, der Spirit ...
Nach 4-5 Wochen ist der Körper so richtig in Fahrt.
Ich erwischte mich teilweise dabei, wie ich im Schaufenster meine neu errungenen, stark definierten Oberarmmuskel bewunderte ;))
Alleine nur, weil man nen bisschen mit den Stöcken rum gestochert hat und ohne, dass es in irgendeiner Form anstrengend war...
Was muss man sich Zuhause für solche Ergebnisse quälen.... ;)

Aufgrund der vielen Gedankengänge sind wir 3 jeder für sich alleine gegangen.

Vermutlich stellte sich jeder die Fragen, was zuhause auf einen wartet, was einem auf diesen Weg so passiert ist, was man sich sonst noch so fürs Leben wünscht....

Nach ca.7km fanden wir uns dann bei einem Café wieder zusammen.
Jeder aß genüsslich sein Brötchen, trank ne Kleinigkeit und war wieder völlig tiefen entspannt am verweilen.

Vielleicht ist das auch so ein Punkt den man sehr vermissen wird.
Wie oft sitzen wir wirklich am Tag in einem Café, nehmen unsere Mahlzeit zu uns, trinken genüsslich ne Fanta und erfreuen uns an unseren Mitmenschen..
Im Alltag ist es doch eher so, das man sich wenn überhaupt 1x die Woche mit nem Freund in nem Café oder nem Restaurant trifft und meistens verweilt man ja auch nicht richtig, sondern konzentriert sich mehr oder weniger aufeinander.
Lauscht den Geschichten und ist auf das Gespräch fokussiert.
Mittagessen machen die meisten auf der Arbeit oder zwischendurch am Arbeitsplatz, gefrühstückt wird kaum noch, Abendessen findet meistens alleine zuhause statt oder wieder mit Freunden, wo das verweilen meistens auch wieder nicht im Mittelpunkt steht!

Gehst du den Jakobsweg, hast du jeden Tag mindestens 2-3 längere Pausen wo du deine Energie zu dir nimmst, wärend du völlig auf das Geschehnis drum herum fokussiert bist!
Man läuft ja auch nicht 20km mit jemanden und Quatsch dann noch jede Pause über des anderen Lebens.
Wenn, dann Abends vielleicht nochmal aus der Bierlaune heraus, aber ansonsten ist der Tagesbedarf ja alleine schon durch die Gespräche beim Laufen abgedeckt...

Diese Beobachtung brachte mir eine wichtige Erkenntnis übers glücklich sein..

Nehme deine Familie und deine Freunde..
Menschen die dir sehr am Herzen liegen...
Wie oft pro Tag haben wir wirklich Zeit mit Ihnen durchs Leben zu gehen...
Ich meine, ich liebe sie, aber wieviele von uns arbeiten meist 8-10 Stunden am Tag, wo der Arbeitsweg noch nicht mit einkalkuliert ist...
Nach der Arbeit haben wir vielleicht noch Termine oder sind einfach kaputt und entspannen uns..
Zwischendrin schreibt man sich ne kurze Nachricht, führt einen kleinen Dialog oder hört einfach mal den Tag auch garnichts von einander.

Die meiste Zeit verbringen wir mit schlafen oder im Beruf mit anderen Menschen zu interagieren.
Im seltensten Fälle hat man das Glück das Familie oder Freunde in der beruflichen Welt integriert sind.

Also gehen wir im besten Falle täglich von 1/2 Stunden für die Liebsten aus.
Und das haben wohl die wenigsten, dass sie jeden Tag die gleichen Herzmenschen im Leben sehen.

Kehren wir zurück auf den Jakobsweg und sehen, das ich jeden Tag mit Menschen die ich mag um 8-9 Uhr aufstehe, Frühstücke, Mittag- und Abendesse , sowie mehr als 6-7 Stunden tagsüber mit Ihnen unterwegs bin.
„TÄGLICH“!

Wie viel Kraft bringen wir im Alltag dafür auf, Kontakt mit allen zu halten, sich mit Ihnen zu treffen und es allen gleichermaßen recht zu machen.
Wie sehr belastet es uns, wenn wir merken das wir uns mit liebgewonnen Menschen auseinander leben, weil man einfach keine gemeinsame freie Zeit findet.
Gerade Menschen im Schichtbetrieb sollte wissen wovon ich spreche.

Manche Menschen neigen dann dazu, nicht die Menschen in ihr Leben zu lassen, die am besten zu Ihnen passen , sondern die, welche die ähnlichsten Arbeitszeitmodelle haben oder am nächsten dran wohnen...

Und trifft man sich dann, steht selten das beobachten der Welt im Fokus, sondern der neuste Klatsch und Tratsch oder aber ein gemeinsames Vorhaben, welches man zusammen geplant hat.

Wollen wir also eine Verbesserung der Lebenssituation, müssten wir entweder weniger Verpflichtungen wie Arbeit und intensive Hobbys haben, eine eigene Firma gründen, wo alle zusammen untergebracht sind, oder müssten alle Menschen die wir lieben in einem riesigen Schloss unterbringen, wo alle täglich ohne Aufwand aufeinander treffen würden ;)

Erst dann würden wir unbeschwert unsere sozialen Kontakte im Alltag genießen können, ohne stets im das Gefühl zu haben, dass wir ständig hart dran arbeiten müssten und nur so würden wir uns auch wieder mehr darauf konzentrieren, die Außenwelt intensiver zu beobachten und wahrzunehmen.

Der Gedanke frustriert, da man meistens solche Dinge garnicht bis schwer umsetzen kann.
Das ist das klassische Beispiel für das berühmte Hamsterrad von dem alle reden.
Man erkennt ein Problem, kann wenig dran ändern und dann neigen wir dazu, es einfach zu verdrängen, weil es uns sonst unglücklich machen würde.

Ich glaube sogar, dass es das größte Problem dieses Hamsterrades ist, denn Reisen oder mal Ausruhen, das bekommen die meisten schon gut mit nem gewissen Zeitmanagement organisiert.

Umso mehr Menschen man kennt umso problematischer wird das Ausmaß des Stresses dieser Geschichte.
Geistiger Aufwand für soziale Kontakte wird heutzutage total unterschätzt, obwohl es mit Facebook und Instagram nahezu ein tägliches Thema in den Medien darstellt.

Definitiv haben wir hier einer der Antworten darauf, warum der Jakobsweg von so vielen Menschen weiter empfohlen wird und warum so viele Menschen ihn so gerne gehen.
Man geht halt nicht einfach nur 20-30km pro Tag, sondern man verbringt den ganzen Tag mit den Menschen die man hier mag und man hat garkein emotionalen Stress, anderen Menschen nicht gerecht zu werden, wärend man verweilt.

Nach dem inspirierendem Päuschen zogen wir wieder los.
Nicht mehr mit Sensationslust auf neue Erlebnisse, sondern vielmehr mit dem Gefühl, jeden km, jeden Schritt und jede Atmung bewusst nochmal zu genießen.

Wir trafen noch ein paar bekannte Gesichter, aber nach langen Pläuschen oder großer Ablenkung war uns nicht mehr zumute.
Kurze Buen Caminos und vertraute Schmunzler mussten reichen um wenigstens freundlich hallo zu sagen.

Wir blieben bei dem Rhythmus gegen Mittag fast jede nette Lokalität für ein Radler zu nutzen und kamen somit erneut nicht vor 17-18Uhr an.

Heute war es dann auch wieder ein Hotel, wo wir uns dann ne Stunde fertig gemacht haben um danach gemeinsam vor der Tür Abend zu essen.

An Herbergen auf den letzten km war für uns nicht zu denken, da ja auch diese riesigen Tourigrinos Gruppen unterwegs waren und wir da nicht Lust hatten erst nach freien Betten suchen zu müssen.
Ehrlich gesagt brauchte ich auch keine Experimente mehr nach der Bettwanzenerfahrung ;)

Lange haben wir dann auch nicht gemacht.
Es wurde langsam kälter und verregneter, man merkte das langsam der Oktober in Spanien ankommt.
Insgesamt waren wir auch zu müde von dem
Tag mit lauter Gedanken und wohlwissentlich das wir am letzten 40km laufen wollen, damit wir pünktlich für Simons Rückflug in Santiago ankommen.

Auf dem Zimmer, hatte ich dann mal wieder keine Lust zu schreiben und so lies auch dieser Tag lange auf seine Rekonstruktion warten.

Beim nächsten mal packe ich mir nen kleinwüchsigen 1Eurojobber zum Mitschreiben in den Rucksack ;)

Nachdem das Bett genaustens nach Bettwanzen abgesucht wurde, schlummerte ich erschöpft aber friedlich in die Welt der Träume ....