Fincebadon - Ponferrada

565,87 km

Cruz de Ferro, wo alle Ihre Sorgen ablegen

Ein neuer Morgen im Nirgendwo von Spanien ;)

Als ich aufstehe, checkte ich erstmal die Funktionstüchtigkeit meiner Füße und Beine.
Waren sie noch böse über den gestrigen Überfall?

Klopf klopf, dehn dehn, streichel streichel....
Nichts!
Sie haben es mir verziehen!
Heppaaaaaaaa!

Kein einziger Muskelkater in all den Tagen.
Kein Wunder das ich gefühlt nicht abnehme.
Mein körper scheint unterfordert ;))

Ok soweit würde ich nicht gehen, aber mal sehen was in ein paar Tagen beim großen Berg so los ist.

Wenn ich mittlerweile sehe, dass es „nurnoch“ 240 km sind, begreife ich zum ersten Mal richtig, was ich eigentlich bis hier hin schon geleistet habe.

Ich schrieb ja schon ein paar Zeilen darüber, das es einem wie ein Automatismus vorkommt und man einfach abspult.
Wenn dann jemand aus der Heimat schreibt, Respekt was du da abreißt, fühle ich mich irgendwie schlecht.
Du merkst es wirklich garnicht richtig.

Klar, an einigen Tagen und besonders wenn du ankommst, bist du gebeutelt und geschunden, aber meistens stellt sich das Gefühl direkt nach der Dusche sofort wieder ein.
Klar, an einigen Tagen stehst du auf und würdest gerne entweder den Wecker gegen die Wand schmeißen, oder aber den Übeltäter in der Herberge knebeln und ihm von ner Ziege die Fußsohlen ablecken lassen, aber meistens sind das Sekundenschmerzen oder Momentaufnahmen , die eine halbe Stunde später wieder vorüber sind.

Ihr müsst wirklich mal sehen, wieviele Rentner um die 70-80 hier rum laufen.
Sicherlich machen viele keine 25 km am Tag und schließen die Etappe bei 10-15 km ab, aber das ist ja auch das Schöne, jeder kann sich den Jakobsweg so aufteilen, wie er es für richtig hält.

Auch die Übergewichtigen an die ich jeden Tag vorbei ziehe, verdienen mein größten Respekt.
Was die ihren Gelenken und ihren Füßen abverlangen müssen, das ist wahrer Heldenmut.

Menschen die 10-20 Pflaster an Füßen und Knien haben, die überall am Bein entlang abgetaped sind, weil die Muskeln nicht mehr mitspielen.

Junge Menschen von 50-60kg die mit dem Rucksack jedem Anstieg und jeder Hitze trotzen.

Ich muss wirklich sagen, das meine Gute Verfassung Fluch und Segen zugleich ist.

Ich habe das Gefühl als wenn alle viel mehr Kraft aufbringen müssen, näher an ihre Grenzen kommen und jeden Tag mehr kämpfen um ihrem Ziel näher zu kommen.

Um Gotteswillen möchte ich mir nichts herbeiwünschen, aber die Helden hier sind andere.

Ich kann nur ab und an zum Held werden, wenn ich zur richtigen Zeit da bin, sie mit meinen spässchen motiviere, mal einen Rucksack trage oder den ein oder anderen Tipp in peddo habe.

Sicherlich auch eine feine Geschichte, aber gewiss keine Heldentat.

Vielleicht soll es mir ja auch einfach nur zeigen, das ich doch noch halbwegs unbesiegbar im Leben bin und meine Mission das helfen, anstatt das überleben ist.

Jeder hat seine Rolle im Leben und ich war schon immer hilfsbereit zu anderen Menschen.

Wenn man berücksichtigt, das ich hier her kam und dachte das ich das Opfer von Alterserscheinungen war, durchaus eine interessante Erkenntnis und gewiss auch gut um wieder in den eigenen Körper mehr Vertrauen zu stecken.

Als ich vor mehreren Monaten „regelmäßig“ Squash gespielt hatte, riss aufeinmal ein Muskelbündel in meiner linken Wade.

Ich hatte noch nie solch Verletzungen, egal wieviel Jahre ich Fußball gespielt habe oder sämtliche andere Sportarten immer mal wieder probierte.

Ihr könnt euch vorstellen, wie das Vertrauen in meinen Körper von heut auf morgen verunsichert war.
Ich dachte mein Körper wird morsch.
Also stellte ich extreme Belastungen wieder ein und tingelte mit kleineren Sportveranstaltungen 1x im Monat vor mir her.

Jetzt, wo ich hier auf Forest Gump mache, kommt ein Stück des Vertrauens wieder und somit bin ich hier bestimmt nicht der Mann mit dem goldenen Verdienstorden, aber zumindest endlich wieder ein Mann ;)

Eines meiner Ziele scheint erreicht zu sein.
Wobei ich an der Unbesiegbarkeit zuhause noch mal ein wenig Feintuning betreiben muss ;)
Step by step...

Zumindest möchte ich jetzt offiziell verkünden, das Ziel für mich in Woche 3/4 erreicht zu haben.

Ausruhen gilt nicht und so musste ich trotz des Etappensieges auch schon wieder los um die nächsten 27 km ab zu reißen.

Simon ist wieder mal einfach vorgelaufen, da er schon um halb 8 aufgestanden war.

Danni schläft generell auch gern länger wie ich und so blieben wieder mal wir 2 übrig um das Tagesziel an zu treten.

Nachdem sie gestern den Anstieg lächelnd und voller Energie absolvierte, wo ich bald abnippelte,
wird es heute wieder für sie sehr belastend.
Der heutige Tag geht mehre km steil bergab, was definitiv nicht gut für ihr Knie und ihre Muskelprobleme ist.

Um 9:30Uhr waren wir wieder auf dem Camino unterwegs und gingen die Challange mit aller Bedachtheit an.

Heute waren auffällig viel Menschen unterwegs.
Viele Rentnergruppen und bestimmt um die 50 1-2er Gruppen mit welchen man sich immer abwechselnd überholte.

Gerade an den engen Passagen, wo es zum Teil steil bergab ging, waren zu viele Menschen auch mal nervig.

Das Problem wie viele andere, das ich mich durch sie in meiner Ruhe gestört fühle habe ich zum Glück nicht.
Bin ja ein geselliges Herdentier ;)

Dennoch musste ich so manch unbequeme Überholmanöver einleiten, was mich teils an einen Slalomlauf im Trümmergebiet erinnerte.

Ich beschrieb ja schonmal die Pisten, die bergab gingen, mit Geröll und aufgesprengten Steinplatten.

Da musstest du schön drauf achten wo du hintrittst.
Nicht zu vergessen das ich mich für die Fusbesohlung Sorte leichten Treckingschuh entschieden habe.
Welcher definitiv leicht und bequem war, aber nunmal auch große Gefahr des Umknickens in sich birgte.

Hier sind aber die Trackingstöcke einfach unbezahlbar.
Selbst wenn du mal wegknickst, kannst du sofort dein Gewicht mit dem Oberarm und dem Stock abfedern.

Dein Gewicht legt sich also nicht auf den Knöchel sondern wird schön abgefedert.

Ich sagte ja, mit den Stöcken fühle ich mich wie Kung-Fu Panda ;)

Bergab ist jetzt somit meine Königsdisziplin und ich gleite zumeist mit atemberaubender Eleganz und feligranem Anmut die Pässe hinab ;)

Wogegen es aber weiterhin kein Heilmittel gegen die stets steigende Hitze gibt.

Auch hier fragte ich mich immer wieder, wie die Rentner dieses jeden Tag aufs neue wuppten.

Einige standen ja zwar schon um 4-5Uhr auf, damit sie nicht zu lange in der Hitze laufen müssen, aber andere brauchten auch ihren Schlaf und man traf sie genauso um 15Uhr in senkender Hitze an.

Wer also zuhause sitzt und denkt, das würde ich sich gern mal machen, aber das sei zu anstrengend, der sollte sich mal ein Beispiel an diese laufenden greisenden Wunder hier nehmen.

So möchte ich auch mal sein, wenn ich Rentner bin.

Nach ungefähr 5 km waren wir an dem Highlight dieser Etappe.
Ein riesiger Steinhaufen mit einem Kreuz am Ende eines riesigen Holzmastes.

Dort sagte uns der Reiseführer, legen die Pilger einen Stein aus der Heimat nieder um negative Erlebnisse, Sünden oder sonstige Altlasten ab zu legen.

Da ich ja bekanntlich nicht sündige ;))
Okok, da ich nicht drauf vorbereitet war und keinen Stein aus der Heimat dabei hatte, nahm ich den Glücksstein, den mit meine beiden irischen Vikings am Anfang der Reise gegeben hatten und legte ihn dort ab.

Einmal als Symbol für die schlechten Zeiten in den ich auf Glück angewiesen war und zum anderen für meine beiden Vikings, die somit auch ihre negativen Altlasten dort als abgelegt wissen sollen.

Manche legen auch Geschenke dort ab, wie Uhren usw. daher dient der Stein als Glück, für alle anderen die dort schwere Schlicksalschläge hinter sich lassen möchten.

Es war ein ehrfürchtiger Ort.
Man sah zum ersten Mal viele Menschen weinen.
Ich konnte nur erahnen das der ein oder andere einen geliebten Menschen verloren haben muss.

Zum ersten Mal bekam ich Gänsehaut und spürte eine beklemmende Last die dieser Ort mit sich brachte.

Somit haben wir noch kurz verschnauft und sind dann weiter gezogen.

Wie beschrieben kämpften wir uns also von Pause zu Pause um bei km 12 dann eine ausgedehnte Mittagspause zu machen.

Dort viel mir nochmal mehr auf, wie viele ältere heute unterwegs waren.
Ich habe vielleicht 10 jüngere Personen ausfindig gemacht, ansonsten waren da umgefähr 40-50 Rentner unterwegs.

Wie immer fanden sich alle am selben Ort zum Energie auftanken ein.

Genau am Fuße des Berges kam ein kleines Dörfchen mit 2 netten Restaurants.
Ok die Lokale sahen nett aus, die Bedinungen waren alles, aber nicht nett.

In manch Dörfern hast du echt unfreundliche Leute, die zwar definitiv vom Camino leben, aber die der Stress zu den Mittagsstunden sichtlich zu schlechter Laune animierten.

Wenn du was bestellt hast, wurdest du zum Teil total genervt angeschaut und manchmal bekamst du auch ein seufzendes Schnauben ab, was mich dazu bewog noch freundlicher und grinsender auf überschwängliche weise mich zu bedanken ;)

Entweder anstecken lassen oder mit der Waffe des Lächelns zurück schlagen.

In der Tat brach man das ein oder andere Eis auf die Weise dann doch noch.

Ich hab da so einen Freund in der Heimat, der für solche Situationen lebt.
Ich musste schmunzeln als ich mir vorstellte wie er mit den Damen angefangen hätte zu diskutieren, ob sie schonmal was von Kundenfreundlichkeit und Servicegedanken gehört hätten ;)

So blieb es aber still und ich grinste noch eine Oktave höher ;)

Der Rest des Tages war einfach nur von Hitze geprägt und ich verbrannte mein Gesicht trotz Sonnencreme zum 10ten mal auf dieser Reise.
Mittlerweile habe ich mich ans abendliche brennen auf der Haut schon gewöhnt und bin gespannt ob ich als Afrikaner zurück nach Hamburg kehren werde ;)

In Ponferrada haben Simon , Danni und ich ein nettes Hostel für 35 Euro ergattern können und ich freute mich schon auf meine Dusche.

Der Weg in die Stadt war wieder mal ein längeres Unterfangen und die letzten 2km entwickelten sich dann doch wieder zu Gummi.
Einzig der Optimismus trieb einen bei den 29 grad noch an.

Aufeinmal sahen wir Simon an einem Lokal an der Hauptstraße sitzen.
Die Überraschung war groß, das er noch nicht im Hostal war.

Anscheinend hat er viele und lange Pausen gemacht.

Ein Dorf durch das wie kamen, hatte nen kleinen Fluss, wo die Leute schwammen und drumherum in den Wiesen lagen.
Da hat er wohl alleine 2 Stunden verbracht.
Hätte ich nicht schon gebucht gehabt, wäre ich auch an diesem schönen Fleckchen Übernacht geblieben.

War aber nicht so und daher haben wir zusammen noch eine Fanta geschlürft, bevor wir den letzten Weg zum Hostel antraten.

Uiiiiii hat das schön nach Lavendel gerochen, als wir rein kamen.
Hier wollte ich bleiben ;)

Nachdem Checkin sind wir alle duschen und haben uns zu 19uhr zum Abendessen verabredet.

Dafür mussten wir dann in den Stadtkern, wo die ganzen Restaurants waren.
Sehe kleine Stadt, aaaaaaaber endlich mal ein richtiger Italiener mit tollen Pastas und endlich mal keiner Tiefkühlpizza.

Ein Traum !

Ich bestellte Bruschketta und eine Tagiatelle Arabiata.

Poa war das lecker.

Alles sah so toll aus und wirkte wie aus Italien importiert.
Darauf hatte ich den ganzen Weg schon gewartet und da war es dann.

Wir waren Feuer und Flamme beim Essen.

Und so kam aufeinmal die Idee, am nächsten Tag noch hier zu bleiben um morgen nochmal hier her essen gehen zu können.

Das fand ich ja mal mega.
Ein ungeplanter Cheatday und ich könnte endlich mal mein Reisetagebuch auf aktuellen Stand bringen.

Simon war sich noch nicht ganz sicher.
Er überlegte hin und her, weil er gerade so im Rythmus ist.
Zudem will er zum 01-02.10 wieder nach Hause, weil da seine Uni wieder anfängt.

Ich überredete ihm mit all meiner Kunst auch da zu bleiben.
Schließlich ist er der einzige der hier aus abenteuerlichen Gründen da ist und nicht unbedingt um einen Sinn zu erfüllen.

Er willigte ein, aber nur unter der Bedingung das wir heute Abend nochmal richtig einen trinken.
Ich schlug ein und die Sache war abgemacht.
Wir 3 bleiben einen Tag länger und können morgen mal wieder ausschlafen.

Herrlich, ganz nach meinem Geschmack ;))

Um 22:30Uhr zogen wir nach 3 Sangria weiter um. Ich eine Bar für 2-3 Drinks zu suchen.
Alle meinten das es in der Stadtbummel die Uhrzeit nichts mehr gäbe, also fragte ich mal ein paar Einheimische.
Können Sie englisch fragte ich 2 Mädels und eine antwortete völlig euphorisch, das sie ein wenig englisch kann.

Als ich fragte wo noch ne schöne Bar mit Musik ist, überlegte sie kurz und dann wollte sie es uns erklären, aber entschied sich uns direkt dort hin zu bringen.

Wir gingen in ein altes Hotel und folgten ihr die Treppen hoch.
Ein wenig gruselig kam es mir ja schon vor, da kein Mensch zu sehen war und auch nichts zu hören war.

Im dritten Stock stand sie dann ganz stolz da und zeigte auf eine herrliche Dachterasse mit Bar, Loungemusik und einem wunderschönen Blick über das Städchen.

Sie fragte uns wo wie her kommen und als wir Deutschland sagten, kreischte sie los und umarmte uns alle 3.

Sie liebe Deutschland und sie liebe Berlin , weil sie ein ganz großer Paul Kalkbrenner Fan sei.

Überrollt von soviel Emotion, bedankten wir uns und sie zog wieder von dannen.

Das war das erste mal das jemand zu euphorisch abging, nur weil wir aus Deutschland kommen ;)

Wir suchten uns einen Tisch an der Brüstung, bestellten uns ein paar Drinks und genossen die Aussicht.

So relaxt durch die tolle Location sprudelten dann die philosophischen Themen nur so aus uns raus.

Was ist das Geheimnis zufrieden zu sein, warum verfallen so viele Menschen in Depressionen oder Burnout in der Heimat, wie wirken sich Reisen aus und was kann der Camino uns noch alles so mitgeben um zuhause diesem Strudel zu entrinnen.

Um es zusammen zu fassen, gibt es glaube ich keine eine Antwort auf die Probleme jedes einzelnen, aber zumindest ist das wichtigste das man stets in sich reinhört, Probleme erkennt und auch angeht im Leben.

Nur wer tief in sich reinhört, kann auch zeitnah Dinge verändern, die ihn belasten.

Wer sich stets ablenkt und versucht Probleme unter den Teppich zu schieben, der wird irgendwann einen Knall erleben.

Außerdem sollte man viel Reisen und nichts das Leben immer nur aus einer Perspektive betrachten.
Jede Reise birgt interessante neue Erkenntnisse.
Jede Reise kann nicht zu 100% geplant werden, weil man außerhalb der Komfortzone ist und nichts so selbstverständlich wie zuhause ist.
Du wirst immer mit neuen Gegebenheiten konfrontiert und die lassen deinen Horizont um einiges erweitern.

Ich habe für mich erkannt das ich immer alles planen möchte und immer alles einschätzen möchte, weil ich eine harte Kindheit gehabt habe und dadurch mir früh angeeignet habe, Situationen    berrechben zu wollen.
Gefahren ab zu wägen..

Aber was resultiert daraus?
Das man nicht mehr überrascht wird, das man sich langweilt und vielleicht auch nurnoch schwer begeistert wird.

Wenn das eintritt, nimmt das Feuer in einem ab und man sieht sich mit lauter berechenbaren Situationen konfrontiert.

Da muss ich was ändern zuhause und dem Leben wieder  eine Chance lassen mich zu überraschen.

Ich dachte das nur der Camino solch Situationen schaffen kann, welche kein Zufall sein können, aber nein, das Leben generell hat diese Magie.
Der Unterschied ist, das wir zuhause diese kleinen Wunder schwer bis garnicht wahrnehmen.

Es gilt die Augen wieder zu öffnen, für diese Wunder..

Die Welt wieder mit Kinderaugen zu betrachten.

Mit diesem Gedanken gingen wir dann um 1:30Uhr leicht angesäuselt ins Hostal.
Mein Kopf war voll, meine Körper müde und ich freute mich die Erkenntnisse des Abends zuhause endlich anwenden zu können.

Anekdote des Tages:
Nur Walt Disney schauen alleine reicht nicht um die Welt  aus Kinderaugen zu sehen ;)