St.jean pied de port - roncesvalles

28,7 km

Der Wolf im Schafspelz

Eigentlich wollte ich den Morgen um 09-10Uhr aufstehen und den Tag ganz gemütlich beginnen,
da war aber bei dem Krach, der über mir her kam, nicht im entferntesten dran zu denken.

Abends bemerkte ich schon, das man jede Bewegung und jede Atmung, von dem Zimmer oben drüber vernimmt.
Morgens wurde ich dann erwartend um 7:30Uhr vom Getrampel und Unterhaltungen geweckt!
Na toll, hätte ich auch ne Herberge nehmen können, wollte ja extra noch mal ein bisschen Ruhe Tanken...

Half dann aber alles nichts und ich fing an, mich auf den ersten Marsch vorzubereiten.
Kleidung sitzt, alle Utensilien ordentlich im Rucksack verstaut und noch ein letzter Blick in den Spiegel!
Da stand ich da, bereit meine ersten km ab zu spulen.
Ehrlich gesagt habe ich mir keine großen Gedanken gemacht, denn ich wusste um so mehr ich drüber nachdenke, um so lauter werden die Stimmen der Gewohnheit, die sagen;
„Dennis, was machst du hier ?!“

Also um 8:30Uhr runter geflitzt, dem Herren der privaten Unterkunft noch freundlich Tschüss gesagt und rauf auf die Straße!

Nachdem ich merkte das es wie angekündigt nass war, entschied ich mich also für die Alternativroute.
Angeblich die harmlosere von beiden und bei schlechtere Witterung auch angeblich die sichere.

Da ich nicht ganz ohne Frühstück starten wollte, habe ich mir noch schnell ein Brötchen unterwegs gesichert und bin dann wie im Pilgerbuch beschrieben Richtung dem Santiagotor gegangen.

Die ersten km waren eigentlich ziemlich schnell gerockt.
Meiner super praktischen Apple Watch sei dank, konnte ich jeden Meter und meinen Puls stets im Blickfeld behalten und war verblüfft, wie schnell und unproblematisch ich voran kam.
Teilweise habe ich es sogar ein wenig genossen.
Die Ausblicke auf die Berge waren beruhigend und anmutig zugleich.
Satte grüne Wiesen, viele Berge (Die Pyrenäen), süße kleine Dörfer mit 10-20 Häusern...
Irgendwie aber auch lustig , da es mich ein wenig an die alte Heimat, dem Siegerland erinnerte!
Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich auch bei der Familie wandern gehen können ;)

Nach einer Stunde hatte ich schon 5,5km auf der Uhr und habe mir im
nächsten Dorf einen Orangensaft und ein Toastbrot zur Stärkung gegönnt.
Auch die nächsten 5km waren schnell abgespult , so das ich immer mehr Sicherheit und Selbstbewusstsein für mich gewann.

In diesem Stadium genießt man wirklich jeden Meter der Natur und saugt Bilder wie Luft förmlich in sich auf.
Fängt ja gut an, dachte ich.
In Gedanken habe ich dann schon jedem hier im Blog empfohlen, es unbedingt auch zu machen und sich keine Sorgen über die Härte der Mission zu machen.
Schließlich habe ich Couchpotato gerade 10km ohne mit der Wimper zu zucken abgespult und es ist noch nicht das leiseste Anzeichen von Fussweh oder Wadenkrämpfen ab zu sehen.

An dieser Stelle möchte ich meine ausgewählten Trackingschuhe von Adidas und meine Wandersocken für 17 Euro das Stück lobend erwähnen.
Man hat ja vor dem Start so seine Bedenken, aber die Kombination fühlte sich vom ersten Km super an. Am Ende meiner Reise werde ich dann mal die Produkte nennen, wenn sie den ganzen Weg das gehalten haben, was sie bis hier hin dann auch versprechen.

Meine Trackingstöcke waren bis hier hin nicht wirklich stark im Einsatz, da es meist gerade aus ging. Erstmal war es ungewohnt und ich hasse eigentlich die Dinger, weil ich immer schon dachte das man wie ein Idiot damit aussieht ;)

Langsam war es dann auch 12 Uhr und die deutsche Uhr im griechischen Herzen zeigte Mittagspause an ;)
Laut meinem Pilgerbuch war ein kleines Dörfchen ungefähr 1km von mir entfernt und so schritt ich voran, um mir ein schönes Plätzchen zum Rasten zu suchen.

Noch bevor der Plan ganz zuende gesponnen war, sah ich vom weiten schon einen steilen und heftigen Anstieg des Weges.
Einmal noch klettern und dann Mittag, passt schon.
So war der Gedanke!
Als ich diesen kleine Anstieg erklommen hatte, war ich klatsch nass geschwitzt, meine Pumpe war auf 158 gestiegen und die Schnappatmung war für jeden um mich rum herrlich mit an zu sehen ;)

Was war das, dachte ich mir nur.

Am Ende des Anstiegs kam man in einer kleinen Gasse raus, die zu einer Hauptstraße des Dorfes führte, wo ich auf der gegenüberliegenden Seite ein Cafe entdeckte.    
Absolut fertig von diesem Todesanstieg und ein wenig erschrocken legte ich draußen meinen Rucksack und die Stöcke ab, ging hinein und versuchte die spanische Speisekarte zu entziffern.

Überfordert mit der Situation, nass geschwitzt und am ölen wie eine Tropfsteinhöle fragte ich dann erstmal nach nem riiiiesigen Wasser!
Die Verkäuferin lachte und reichte mir erstmal das Wasser und wegen meines englisch dann auch direkt mal die englisch-sprachige Speisekarte.

Ich entschied mich für einen Thunfischsalat.
Schließlich bin ich ja in gesunder Mission hier unterwegs ;)

Als ich dann raus ging und ein älteres Ehepaar sitzen sah, welches definitiv auch nach Pilger aussah, konnte ich nicht glauben, wie die da lachend und ohne einen Tropfen Schweiß, ihren Kaffee genossen haben.

Verdutzt ging ich hin und fragte neugierig:
Sorry, aber warum seit ihr noch so munter und ich sehe aus als hätte ich nen Boxkampf hinter mir?!
Sie meinten dann das sie nicht in St.jean gestartet sind , sondern gleich erst von hier starten würden.

Ok, Glück gehabt!
Kurzzeitig hab ich mich echt geschämt gegenüber 3x so älteren Leuten so krass fertiger aus zu sehen ;))

Das Wetter lockerte dann mehr und mehr auf und die Sonne begann schön auf der Haut zu prickeln.

Eigentlich glücklich darüber, war ich trotzdem ein wenig enttäuscht!
Hätte ich doch den anderen Weg, den harten, den mörder Berg laufen können.
Wie klingt das, dass man die leichtere Alternativroute wegen schlechtem Wetter gelaufen ist und mittags dann strahlender Sonnenschein zum Vorschein kam...
Leider konnte ich jetzt nichts mehr ändern und somit nahm ich das Schicksal dann auch so an.

Nach dem Essen bin ich schliesslich weiter gezogen und auch die nächsten 7km waren super schnell abgelaufen.
Nach dem Anstieg musste ich aber eingestehen, das in den Kniekehlen und und im hinteren Oberschenkel ein wenig das Zwicken anfing.
 Ich denke aber, ganz ohne wäre auch unnormal, daher habe ich dem keine große Bedeutung geschenkt.
Man ist überrascht, wie schnell der Körper den Schmerz betäubt und man nur einen kleinen Stich oder ein Ziepen merkt.
Sätze wie; ersten Tag gerockt wie eine Gazelle, lagen schon in meinem Kopf bereit,  nur um stolz ins Tagegebuch geschrieben zu werden.

Die 11 kg am Rücken merkte ich fast garnicht.
Der Rucksack, den ich bei Globetrotter bersorgt hatte, erfüllte perfekt seine Aufgabe!
Das Gewicht nicht auf den Schultern zu tragen, sondern schön auf der Hüfte.

So nährte ich mich dann den letzten 5km der Etappe!
Siegessicher und voller Freude, so einen tollen Tag hingelegt zu haben, steuerte ich auf ein paar hintereinander liegenden Anstiegen zu.
Puh, das ist ja nochmal intensiv dachte ich mir.
Nach 10min. musste ich eine Pause einlegen.
Die Pumpe war am pulsieren.
Nach 5min. bin ich dann wieder weiter.
Nurnoch 5km Dennis, los jetzt.
Der nächste Anstieg folgte..
Nach 10min musste ich wieder Pause machen.
Das gibts doch nicht, dachte ich mir.
Was denn nun los.
In dem Tempo werden die 5km aber verdammt lang.
Es war mittlerweile ca. 14-15 Uhr.
Eigentlich hatte ich gerechnet für die letzten 10 km auch nur so 2-2,5h zu brauchen.
So aber gewiss nicht.

Ich raffte mich also wieder auf, wollte jetzt ein wenig mehr Gas geben und war guter Dinge,das die Strecke gleich wieder schöner wird.

Pustekuchen war.
Was dann folgte war ein wahrer Alptraum.
ungelogen, ich habe gedacht ich sterbe.
Hinter jeder Kurve im Anstieg, dachtest du , da gehts hoffentlich jetzt mal wieder gerade oder Bergab.
Angekommen in den Kurven, war es jedes Mal ein noch schlimmerer Anstieg.
Teilweise an Abgründen entlang, oder mega engen Buschwegen, wo alle Dornen nach dir griffen.

Ich begann zu fluchen!
Habe mehrmals laut gerufen ob mich jemand hier verarschen mag.
Es hörte wirklich nicht mehr auf.

Ich weiß nicht ob sich das jemand beim lesen vorstellen kann, wenn du mit 1kmh pro Stunde nen Berg im Zickzack erklimmst, und jedes Mal hoffst das es gleich zuende ist, weil es ist ja der „leichte“ Weg, aber jedesmal es noch brutaler wird und du auf deiner App siehst, das du gerade für 2km 1,5h gebraucht hast und 3 noch folgen.

Zu allem übel ging dann mein Wasser alle und ich hatte kein Proviant mit.

Ich konnte nicht mehr.
Demoralisiert, absolut am Ende meiner Kräfte, habe ich mich von Kurve zu Kurve geschleppt.
Nach jeden 100m musste ich mich setzen und kurz ausruhen, weil es nicht mehr ging.
Es war nicht so das meine Füße oder meine Beine nicht mehr wollten, es wurde mir einfach teilweise schwarz vor Augen...
Bestimmt 10x so betrieben, kam aufeinmal 2 Frauen um die Ecke.
Natürlich wollte ich mir keine Blöße geben und bin sofort auf,rief Holla und bin weiter.
50m später war die Show dann aber wieder vorbei.
Ich musste wieder den Rucksack Absätzen, weil es wieder schwarz vor Augen wurde.

Sie fragten mich dann, ob alles ok war.
Ich muss ankommen und ins Restaurant, stammelte ich.
Geistesgenwertig boten Sie mir Essen an.
Was ich zunächst ablehnte.

Dann fragte eine Dame, ob ich wenigstens ein bisschen Schokolade möchte.
Als mein Kopf Schokolade hörte reagierte er dann doch wieder schnurstracks und willigte dann letztendlich ein.

Ehrlich , das war meine Rettung!
Ohne den Zucker, weiß ich nicht, wie ich diesen Berg jemals wieder verlassen hätte können...

Die Damen haben sich dann echt toll um mich gekümmert.
Mich neu motiviert und wir sind dann zusammen die letzten 3km gelaufen.
Angekommen sind wir dann endlich um 19uhr und es wurde langsam kalt, dunkel und es begann zu regnen.
Länger hätte ich also wirklich nicht brauchen dürfen, das wäre ziemlich kritisch geworden.

Es heißt der Camino hat seine Engel!
Ich hatte die,mit meinen Zuständigkeitsbereich, zum Glück rechtzeitig gefunden.
Es stellte sich raus das die beiden Irinen sind und Mary und Muriel heißen.
Beide so um die 45 und das Herz am rechten Fleck!
Ich hätte keine humorvolleren und tolleren Retter finden können.
An dieser Stelle einen riesen Dank an meine irischen Schutzengel.

In Ronservallies angekommen, habe ich mir ein Hotel gesucht, da nach dem Tag definitiv keine Herberge in Frage kam.
Das habe ich mir dann auch 80Euro kosten lassen. Der Preis war mir nach dem Erlebnis definitiv egal.
So ein Horrortag, wobei es so lange aussah, als wenn ich ohne Probleme durch komme.
Der Schock saß tief und ich fragte mich ;
Wenn das der leichtere Weg war, was muss wohl auf dem anderen Weg abgegangen sein?

Aber richtig frech fand ich, das man über die Gefährlichkeit dieses Weges null hingewiesen wird.
Dieser Weg wird als Baby-Weg deklariert und alle die ich gesprochen habe, fanden den Weg auf den letzten 5km absoluten Horror.
Ich bin natürlich kein Outdoorprofi und natürlich war es mein erster Tag , gepaart mit dem fehlenden Wasser und dem fehlenden Essen war es natürlich auch sehr unglücklich, aber so eine Etappe so zu verharmlosen, finde ich wirklich Fahrlässig.

Als ich dann eingecheckt bin, habe ich meine Sachen abgelegt und bin nochmal zum Restaurant, wo die beiden Schutzengel auf mich wie verabredet warteten.
Ich hatte drum gebeten, das ich beide auf ein Bier einladen darf, als Dankeschön, das sie mir mit der Schokolade das Leben gerettet haben ;)

Beim Bier erfuhr ich dann, dass sie eine 5 Tagestour machen, einfach mal um den Kopf frei zu bekommen.
Sie liefen also nicht den gesamten Camino, da sie leider so viel Zeit am Stück nicht zur Verfügung hatten.
Ansonsten plauderten wir noch über Irland und das es bei Ihnen Zuhause teilweise ähnlich wie auf dem Camino aussah.

Um 23 Uhr waren wir dann entgültig fertig und haben uns verabschiedet.
Da unser schwarzer Humor sich sehr gut verstanden hat und sie ja ab jetzt meine Schutzengel waren, haben wir uns direkt für 9Uhr am nächsten Morgen zum laufen verabredet.

Nach dem Tag, hätte ich erstmal kein Interesse mehr alleine zu laufen ;)

Hoffen wir das der nächste Tag besser wird, auch wenn ich stolz bin, dieses Mistding bezwungen zu haben.

Knapp, aber Sieg ;)


Anekdote des Tages :
Du sollst den Tag nicht vor dem Abend loben 🙈