Villafranca del Bierzo - Las Herreias

614,76 km

Wie kalt ist es bitte morgens in Spanien?

Najaaaaaaaa,
richtig fluchen muss ich heute nicht, aber der eine Italiener der jede 3min aufgestanden ist, weil ihn irgendwas gestört hat, der nervte schon ;)

Mal war ihm kalt und er holte eine zusätzliche Decke, dann störte ihn das Licht und er schloss die Klappe zum Fenster, dann störte ihn das das Fenster auf war, dann schüttelte er das Bett aus, dann musste er auf Toilette...

Männer sind normalerweise nicht soooooo...
So viel wie möglich mit einem Gang erledigen.
Das sind wir Männer!
Ausgeklügelte Systeme haben wir entwickelt, wo wir lieber alles fallen lassen, anstatt 3x zu gehen... ;)

Die Wühler morgens hatten wir auch, aber auch wenn die Herren es genausowenig verstanden, die Tasche draußen zu packen, waren sie zumindest nicht ganz so laut.
Bis 8 Uhr schlafen , mit ein paar Unterbrechen war gegeben und das Ergebnis war befriedigend ;)

Wir machten uns fertig, füllten den Zettel für den Rucksacktransport aus und zogen von dannen.

Nach 100m überkam mich ein Gefühl von hunderten Backpfeifen am ganzen Körper.
Wer hat denn bitte heute Nacht die Heizung in Spanien ausgeschaltet.
Ich gucke auf meine App: 9 Grad !!!!!

Poaaa war das kalt und jeder Windstoß verstärkte die Backpfeifen um das tausendfache.

Nach 300m suchten wir das nächste Café auf um uns auf zu wärmen und ab zu warten, bis die Sonne hoch genug stand.

Wir frühstückten fast 30min lang und es wurde nicht besser.
Wie immer war ich nur im T-shirt losgelaufen und beschloss dann doch eingestehend, das mir meine Jacke fehlte.
Ich meldete mich kurz ab und lief zur Herberge zurück.
Tja Dennis, jetzt ist es zu spät.
Die Herberge war schon abgeschlossen und keiner war mehr da.
Ich lief bibbernd einmal drum rum, gab aber schließlich auf und lief schnell wieder zurück ins Café.

Der Camino möchte das ich friere, also friere ich.
Niemand wiedersetzt sich den Anweisungen des Caminos, auch keine griechischen Halbgötter ;)

Bevor ich nach Spanien aufbrach, hab ich im Fernsehen einen Bericht gesehen, wie Leute in Kühlkammern gehen, um die Pfunde verschwinden zu lassen.
Der Camino hilft mir also beim Abnehmen!
Danke ;))

Es war grauenvoll, selbst als wir schon eine Stunde gelaufen waren, war keine Sonne in Sicht.
Wir waren umzingelt von Bergen, die das herbeigesehnte Sonnenlicht ziemlich effektiv abschirmten.
Man konnte sehen, wie die Hälfte der Berge im Sonnenlicht erstrahlten, aber die Sonne nicht hoch genug stand, um uns den erhofften Wärmestrahl Servieren zu können.
Der Wind war abartig kalt, die vorbeifahrenden Fahrzeuge brachten uns zum quieken wie kleine Schweinchen.

So schnell hatten wir noch nie 5 km hinter uns gebracht.
Wir rannten förmlich um der Kälte zu strotzen.
Zwischendrin ein paar Kriegsschreie, welche auch wärme bringen sollten und gleichzeitig als Motivationslaute dienen sollten, damit wir auf die noch fester auf die Zähne Bissen.

Endlich nach 2 Stunden erschien nach einer Kurve der erste Sonnenstrahl auf dem Weg!
Erstmal Raucherpause und Wärme auftanken.

Das erinnerte mich echt an meine Bundeswehrzeit.
Man weiß ja, im Winter wurden die Metzger und Mörder quasi die Hauptschüler eingezogen.
Entsprechend kältetreibend war meine Grundausbildung ;)

Damals mussten wir auch bei 20cm Neuschnee draußen schlafen und wenn man Wache hatte 2 Stunden bewegungslos in der Stellung liegen.
Wer da denkt, das der Kälteschutz in irgendeiner Form schützt, war entweder nicht beim Bund oder Abiturient ;)

Nachdem wir dann nochmal ein Weilchen durch den Schatten schlenderten, war der Spuk endlich vorbei.
Ich hoffte nur, das ich keine Erkältung davon getragen habe.
Das wäre es jetzt noch.
1 Woche vor dem Ziel, bettlägerig wegen tödlichem Männerschnupfen!
Da nehm ich doch lieber die Blasen und die Knieschmerzen ;))

Gegen Mittag machten wir Rast bei einem kleinem Restaurant in einem kleinen Dorf.
Die Temperaturen haben sich dann auch endlich bei den gewohnten 22-24 Grad eingependelt.
Genau gegenüber lehnte ein Hund lässig mit den Vorderbeinen über der Mauer und inspizierte wer so des Weges kam.
Wir haben uns buckelig gelacht, wie der da so lässig hing.
Fehlte nurnoch das der jeden Pilgerer mit Pfoten heben grüßte ;)

Eigentlich wäre heute die nächste hatte Herausforderung auf unserem Plan gewesen, aber zum Glück hatten wir uns gestern noch beratschlagen und neben der Uhrzeit auch das Tagesziel geändert. 
Wir hätten heute normal 28,79 km bis O’Cebreiro laufen müssen. O‘Ceibro liegt auf einem Berg mit 1126 m Höhenanstieg, was laut Hape ziemlich heftig zu bewerkstelligen ist.
Auch Danni meinte das sie das vom letzten Jahr noch sehr schwer in Erinnerung hat.

Wie hielten es für wesentlich klüger heute nur bis zum Fusse des Berges zu gehen und dann am Folgetag den Berg direkt zum Anfang zu meistern.

Somit waren es heute nur ca. 20 km und bis auf die Eiseskälte absolut eine leichte Etappe.
 
Gegen Nachmittag sind wir dann in einem netten Hotel mit 2 großen Terrassen und Blick auf ein kleines Tal eingetroffen.

Wir checkten ein und haben uns dann für nach dem Duschen auf der Terrasse verabredet.
Dort tranken wir 2-3 Bierchen, bevor es dann gegen 19Uhr rein zum Essen ging.
Es wurde auch schon wieder leicht frisch.
Keine Ahnung ob es in den Tälern ein wenig kälter als im restlichen Spanien ist, oder es langsam einfach nur kälter wird, aber heute muss ich mindestens das doppelte an Kalorien verbrannt haben ;)

Nach dem Essen saßen wir noch 2-3 Stunden bei vier und Tinto de Verano zusammen, philosophierten über das Leben und tauschten Gedankengänge aus.

Simon erweist sich immer mehr als sehr reflektierender Mensch.
Wir teilten unsere Eindrücke der ersten Tage und er war der Meinung, das er gewisse Verhalten nur an den Tag legt, weil er sich uns angepasst hat.
Nachdem ich ihm 1-2 Situationen vor Augen geführt habe, erkannte er aber selbst ein paar Eigenarten die er von ganz alleine aufzeigte.
Getrieben von der Erkenntnis redeten wir über Unterschiede des Verhaltens durch altersbedingte Erfahrungen und wie soll es auch sein, den Einfluss von Sternzeichen auf die Eigenarten mancher Menschen.

Ich gehe in meinem Tagebuch eigentlich bewusst nicht zu tief auf jeden Charakter ein um zum einen die Person selber nicht öffentlich in einem Blog bloß zu stellen und zum anderen auch nicht jede Kleinigkeit aus zu schlachten.
Manche Unterhaltungen verdienen entweder keine Aufmerksamkeit oder es reicht, wenn ich sie für mich in meiner Erinnerung behalte...

Seitdem Simon aber Teil unserer Gruppe ist, reden wir über so viele tiefere Themen, das man es schwer hat, interessante Erkenntnisse einfach weg zu lassen.

Danni und ich verstanden uns auf der motivierenden Ebene.
Dadurch das sie gerne nachdenkt und mehr mit sich selbst ausmacht, hat man ganz viel Zeit, für sich selbst über sein Leben nach zu denken.

Bei Simon ist es eher so, das es kein Thema gibt, was es für ihn nicht wert ist, angesprochen zu werden.
Er hinterfragt die kleinste Kleinigkeit und möchte unbedingt den Mehrwert erarbeiten und verstehen.

Man merkt, das er geistige Unterforderung als langweilig empfindet und somit genau beobachtet, ob für ihn ein Mehrwert in den Unterhaltungen oder dem Erlebten vorhanden ist.

An diesem Abend wiederholte er auch selbst mehrmals, das viele Begegnungen auf dem Camino ihn absolut kalt gelassen haben, weil ihm der Mehrwert der Unterhaltungen nicht gegeben war.

Ich muss sagen, nach Tagen der Selbstreflektion, war das mal wieder eine willkommene Abwechslung.
Ich mag es einfach wenn Menschen stundenlang über Gott und die Welt philosophieren können.
Noch viel schöner ist es, wenn dein Gesprächspartner so fordernd nach Erkenntnissen lechzt, das du selbst beim Erzählen ein kleines Feuer in dir spürst.
Zum einen lernte ich diesen Abend Simon nochmal viel besser kennen und zum anderen genoss ich , das er mich so sehr forderte.
Training auf hohem Niveau, würde ich das nennen.

Der Junge ist 22, aber hat so eine beeindruckende Kombinationsgabe, das ich selbst neugierig bin, wie er auf meine Ansichten reagiert.
Wieviele Anfang 20 Leute kennen wir, wo man sowas behaupten kann.

Danni schaltete sich immer mal wieder zwischen durch ein, um bei manchen Themen an zu merken, wie sie das so kennt, aber meistens überlies sie uns das Schlachtfeld und schaltete auch ganz oft ab, wenn wir bei Themen wie Politik angelangt waren oder wir mal wieder ein wenig hitziger über Details failschten.
Man sah ihr dann immer an dem leeren Blick in die Ferne an, dass sie mit den Gedanken nicht bei unseren Rhetorikduellen war.

Genau das zeichnet sie halt aus, weswegen ich auch super gerne schon seit Tagen mit ihr Laufe.
Sie ist auch nicht immer ohne, wenn sie mal gestresst ist von den Strapazen, aber im grossen und ganzen lässt sie jedem den Raum sein Ding zu machen.
Egal worüber man redet; Wenn es nicht ihr Thema ist, verurteilt sie niemanden, sondern klinkt sich einfach aus den Unterhaltungen aus.

Somit gaben wir ein gutes 3er Gespann ab, obwohl wir 3 uns schon in vielen Punkten unterscheiden.
Letztendlich ist es aber das, was ich immer predige:
Wichtig ist nur das man ein gutes Herz hat, Toleranz gegenüber seine Gegenünber hat und halbwegs ins Leben passt.
Egoisten, extreme Sonderlinge,weltfremde Menschen und steife Leute bekommt man selten unter einen Hut.
Zumindest nicht lange und ohne größere Konflikte.

Gegen Mitternacht konnte ich nicht mehr und wir verabschiedeten uns.

An Schreiben war nicht mehr zu denken, daher war ich jetzt auch schon wieder mehrere Tage im Verzug ;)

Wie immer betone ich aber, das es ja auch mehr ums erleben geht, als die Hälfte der Zeit mit niederschreiben des Tages beschäftigt zu sein.
Somit bin ich trotzdem zufrieden gewesen und habe die Unterhaltungen absolut wertgeschätzt.

Ich freute mich auf einen neuen Tag und die ein oder andere Erkenntnis mehr.

Anekdote des Tages:
Kälte ist das Redbull des Wanderers; Es verleiht ihm Flüüüügel ;)