Sahagun - Reliegos

441,94 km

Die Hälfte ist um und wir laufen und laufen

Guten Morgen Deutschland,

7:30Uhr und das Licht ging automatisch an.
Es war diesmal ok, hätte schlimmer kommen können.
Wie gestern schon erwähnt, waren die Deutschen heute Morgen sehr laut unterwegs.
Vorbei ist es mit der Sympathie, die ich anfänglich für sie verspürte ;)
Da wir aber in den hinteren Reihen waren und ich Ohrstöpsel drin hatte, war es nicht so dramatisch wie sonst immer.
Sonst wäre ich schon um 6Uhr wach gewesen ;)

Zudem war heute wieder eine 30 km Strecke auf dem Tagesplan und das frühere Aufstehen kam uns gut entgegen.

So starteten wir nach einem kleinen Frühstück heute schon um 8:15Uhr.

Morgens ist es immer noch sehr frisch und man überlegt doch längere Hose und Swetty an zu ziehen.
Da kurz nach Sonnenaufgang es aber minütlich wärmer wird, hab ich mich dann doch dagegen entschieden und bin wie immer in kurzen Klamotten gestartet.

Auch heute gab ich wieder mal meinen Rucksack ab, da alles über 25 km nunmal auf die Füße geht und ich kein Risiko eingehen mag.

Danni, gibt ihn eh jeden Morgen ab, da es sonst mit dem Muskel und dem Knie nicht geht.

Es kostete mich aber schon ein wenig Überwindung, nachdem gestern ja mein Rucksack fast abhanden gekommen wäre ;)

Als wir los liefen, merkte Danni das es mit ihren Blasen am Fuß wieder schlimmer wird.
Das Knie hält halbwegs stand, aber jetzt schmerzen die Blasen an der Verse wieder.
Zudem hat sie sich noch eine kleine neue am Zeh vorne geholt, was zusätzlich für weitere Komplikationen sorgte.
Es half aber alles nichts und sie musste auf die Zähne beißen.

Wir marschierten also los!

So langsam gewöhne ich mich auch an den Rythmus des zu zweit Laufens.
Wie ich ja schon erwähnte, ist es zu zweit irgendwie besser sich auf sich selbst zu fokussieren.
Danni gibt mir die nötige Ruhe und ich denke ich kann als starker Begleiter ein wenig was fürs Sicherheitsempfinden und für die Stimmung beitragen.

Auch wenn sie oftmals mein Gesang genervt hat und sie meine Klugscheisserkommentare schon zu manch Augenrollen verleitet haben, arrangieren wir uns recht gut.

So langsam wird mir klar, das auch das wieder der Camino geschickt arrangiert hat.

Wer weiß in welche Gruppe ich als nächstes gestolpert wäre und was da so für Schabernack an der Tagesordnung gestanden hätte.
Oder gar jemand der genauso gerne und viel redet wie ich.
Ich hätte niemals die Chance bekommen, über mich und mein Leben in Ruhe nach zu denken. 
Und genau dafür bin ich ja schließlich hier.

Es ist wirklich so spuky wie der Camino dich dahin treibt wo du sein sollst mit deinem Kopf.
Mit den richtigen Leuten zur richtigen Zeit oder mit den richtigen Wegen zur richtigen Zeit.
Diese monotonen Strecken sind einfach wie dafür gemacht, die Gedanken kreisen zu lassen und sich selbst seine Themen zu suchen, die sie für nötig halten, aufkommen zu lassen.

Ich muss sagen das ich leider einen kleinen Fehler gemacht habe und doch ein paar Kanäle in die Heimat offen gelassen habe.

Jeder hat mich gewarnt und ich dachte, das kann ich schon steuern.
Es haben sich viele Leute dran gehalten und mir meine Zeit für mich gelassen, die Arbeit kommuniziert wenn dann so sanft mit mir, das ich mich wirklich null aus dem Rythmus getrieben fühle oder gar Unwohlsein spüre.
Wobei ein kleiner Schocker ganz am Anfang dabei war, was aber nicht die Arbeit selbst schuld war, sondern ein Post bei Facebook von einem ehemaligen Teilnehmer, was mir sofort in der  Magengegend zuckte.
Danach habe ich die Finger von Sozialmedia gelassen.
Man will ja eigentlich nur was schönes oder witziges lesen, wenn man mal aus Langeweile einschaltet, aber dann sieht man halt das immer mehr Hass und negatives auf den Kanälen gestreut wird.

Früher war das besser.
Um seinen Frust nieder zu schreiben, musstest du einen Brief verfassen , eine Briefmarke kaufen und den Brief zur Post bringen.
Das hat so lange gedauert, das der Frust sich meist schon wieder in Luft aufgelöst hatte.

Heute regst du dich auf und kannst sofort deine Gedanken in die Welt tragen.
0 Bedenkzeit ob das richtig ist und 0 Abklongzeit.

Ich bin auch oft sauer auf etwas, aber bei mir wird man nie einen Post lesen was über Politik, Religion oder andere Ansichten im Internet schimpft.

Wofür?
Die Leute lesen schon genug schlechte Nachrichten im Leben!
Da muss ich sie nicht noch mit weiteren auf meiner Seite belästigen.

Naja, wie gesagt habe ich leider andere Kanäle zu mir offen gelassen und habe dadurch ziemliche Magenschmerzen hier und da mit mir rum getragen.

Ich verstehe absolut nicht, wenn man weiß das Menschen gerade auf einer Reise für ihr inneres Ich sind, das man sie mit negativen Zeilen tiggern muss, was definitiv warten kann bis man wieder zurück ist.

Klar gibts Nachrichten , die keinen Aufschub erlauben, aber wenn man das über mehrere Tage streut und stets andere negativen Nachrichten verkündet, muss ich mich fragen , ob diese Menschen mir überhaupt wohl gesonnen sind.

Ich würde das niemals mit einem anderen Menschen machen, der ganz klar in einer für sich wichtigen Mission unterwegs ist.

Zum Glück bin ich so weit weg von gewissen Problemen, das mich das Wandern dieses Gefühl schnell wieder vertreiben lässt und ich einfach dann auch mal Menschen und Probleme ignorieren muss.

Genauso wie ich die letzten Tage einfach mal entschieden habe, das ich das Tagebuch ein wenig zeitversetzter Schreibe, weil es nicht als Zwang über meinen Erlebnissen hier stehen darf.

Man darf nicht vergessen, warum man hier ist.
Nebengeräusche muss man ausblenden und sich ganz auf sich fokussieren.

Wenn ich müde bin, dann muss ich schlafen und nicht noch stundenlang Memoiren schreiben.
Dafür findet sich irgendwann immer noch Zeit.

Ich bin auch wirklich richtig glücklich das ich wieder gelernt habe mal um 22-23 Uhr ein zu schlafen.
Wie sinnlos man oft zuhause bis 2Uhr in der Nacht wach bleibt und eigentlich nur noch unproduktiven Müll fabriziert...

Aber so leben wir halt.
Dir machen ja sogar Leute Vorwürfe, wenn du um 1Uhr nachts nicht zurück schreibst.

Und am besten ist dann die Antwort:
Ich hab ja gesehen das du online warst!!!!
Nur weil ich wach bin, heißt das noch lange nicht das ich Gespräche führen mag.
Aber heutzutage schaut jeder zuerst auf seine Belange und findet das selbstverständlich dir diese jederzeit unter die Nase zu halten.

Wie gern ihr Menschen auch habt, akzeptiert deren Rückzugsräume und dere Zeitfenster, wo sie mit problematiken konfrontiert werden möchten und wo sie einfach nur Ruhe brauchen.

Die Menschen sind schon jederzeit erreichbar und ständig mit schlechten Gefühlen befangen, da muss keiner in seinem sozialem Umfeld noch Öl ins Feuer gießen und zusätzlichen emotionalen Stress verstreuen.

Wie ihr merkt, werden meine Tagebucheinträge tiefer. Leider auch immer weniger witzig, wie am Anfang, aber ich sagte ja auch, in erster Linie sollen sie mir als Manifest dienen, wenn ich wieder zurück bin.

Ich hoffe, das man trotzdem noch halbwegs Spaß hat mitzulesen.
Denn mich macht das sehr stolz, das viele Bewohner meines Herzens, mir positives Feedback gegeben haben und in Gedanken mit mir den Camino laufen.

Auch das hab ich schon bereits erwähnt, aber es ist halt schwer, nach solchen Tagen dann abends noch coole Zeilen zu verfassen.
Ich denke da geht bestimmt mehr und jetzt wo die Themen tiefer werden, möchte ich niemanden vergraulen.

Ich hoffe mal das die Herzmenschen bis zum Ende dabei sind und hinterher auch mit mir gemeinsam die ein oder andere Passage zuhause aufleben lassen können.

Es wird hoffentlich dazu führen, das man gemeinsame Ansichten findet, die man bis dato vielleicht noch garnicht wusste.
Mal sehen, welche tollen Gespräche da dann wirklich noch zuhause auf mich warten, wenn alles vorbei ist....

Und ich verspreche hier und da mal auch wieder nen lustigen Tag ohne schwere Kost ein zu bauen ;)

Zurück zum eigentlichen Camino, was halt wie gesagt nicht mehr der einzige Mittelpunkt des Tagesgeschehens ist...

Die Etappe läuft sich halt jetzt jeden Tag ähnlich.
5 km pro Stunde, jede Stunde eine Zigarettenpause, zur Halbzeit ein längeres Mittagspäuschen, wieder laufen, die meiste Zeit die Ohrstöpsel drin und alleine mit Hörbuch oder Gedanken.

Zwischen drin macht man mal ein paar Witze oder meckert sich mal an, weil es sich zumeist wegen der Hitze gerade schlechter läuft und dann gehts weiter.

An diesem Tag trifft es die arme Danni dann richtig dolle.
Anfänglich merkte sie ja die Blasen und als wir dann gehen 17 Uhr in dem Dorf ankamen, endlich ne Herberge gefunden haben (Hotels gibts in den kleinen Nestern nicht und gestern war ja mal wieder ein guter Herbergen Tag), zeigte Danni ihr beiden Blasen an den Versen!

Wer mich kennt, weiss das ich generell ja nicht der größte Freund von Füßen bin, wenn dann noch ungelogen 10cm Durchmesser, mit Blut gefüllte Blasen an der Verse wuchern, der wird mein Leiden nachvollziehen können.

Das sah wirklich übel aus.
Sie hat an einer Verse, eine Blase über der anderen bekommen, so das sie doppelt so groß war.
Ich wollte mir diese Schmerzen garnicht ausmalen.

Respekt, das sie dennoch die Etappe tuende gelaufen ist.
Das schafft nicht jeder.
Viele hätten sich nen Taxi oder Buß zur nächsten Stadt genommen, oder gar abegebrochen.

Abbrechen kommt für sie aber mal garnicht in Frage. Sie ist Italienerin!
Die Blöße gibt sie sich nicht.

Sie fragte den Herbergsvater, was sie machen kann.
Der bestätigte dann, das sie sie mit Nadel und Faden aufstechen muss.
Gleichzeitig muss sie eine Flüssigkeit über den Fuß  kippen , der durch den Faden in die Blase gelangt in die Blase dann von innen austrocknet.

Sie setzten sich unten vor die Herberge und stachen also die Nadeln mit dem
Faden dadurch, während der herbergsvater rötliches Zeug über die Wunde goss.
Das hat gebrannt, wie man an Dannis Gesichtsausdruck ablesen konnte.
Als ich gerade raus kam und den letzten Rest der „Operation“ mitbekam, war eine riesige rote Lache in der Bordsteinrille.
Es sah wirklich aus als hätte jemand 2 Liter Blut verloren.

Am Ende war das Ergebnis aber wirklich beruhigend.
Die Blase war platt und es wuchterte nicht mehr wie davor.

Ich bin gespannt wie es morgen laufen wird.

Zu meiner Verwunderung hatte ich danach immer noch Hunger und wir sind dann in eine Nachbarherberge, welche klein und idyllisch war und für 8 Leute Abendessen machte.
Wieder Pilgermenü, aber sich wieder ein süßes Ehepaar was das ganz herzzerreißend organisiert hat.

Auch wenn man in den Herbergen nicht schläft, darf man für 10 Euro dran teilnehmen.

Ich mag das mittlerweile richtig und sehne mich immer mehr den Zeiten zurück, wo man mit mehreren noch gemeinsam ganz normal zu Abend Brot gegessen hat.
Ob mit der Familie oder in vereinen oder auf reisen,  Abendbrot war immer schön.

Alleine zelebriert man das nicht mehr so und es fehlen halt die anderen ...

Nachdem Essen sind wir dann wieder zurück zur Herberge und haben noch eine geraucht bevor wir uns Zähne geputzt haben und in die Betten geschmissen hatten.

Heute wird wieder interessant.
Ungefähr 20 Leute in einem Raum und die berüchtigten Asiaten, wo manche nachts schon aufbrechen...

Ich konnte noch einen halben Tag niederschrieben und dann war aber auch hier wieder die Schwerkraft der Augen größer, als das schlechte Gewissen, mit den Tagen im Rückstand zu sein ;)

Aber hey!
Ich hab die Hälfte hinter mir!
Den Rest schaffen wir auch noch!
Trinkt einen aus der Ferne auf mich.
Ich kann positives Karma gut gebrauchen ;)

Anekdote des Tages:
Einige Menschen verstehen nicht was ich hier mache und warum ich hier bin