Ages - burgos

288,18 km

Ankommen und endlich mal wieder einen Tag Pause machen

Es ist unglaublich!
Der Fluch ist gebrochen!!!
Ich konnte bis 9Uhr durchschlafen.
In einer Herberge!!!!!

Wie versprochen waren die Australier erst um 9Uhr aufgestanden.

Die Mädels sind zwar schon früher weg, aber haben natürlich mir zu liebe ganz leise gemacht.

Wundervoller Start in den Tag und nach dem schönen Abend in dem herrlichen Restaurant, eine Kirsche auf der Sahne!

Ich hab mich herzlichst bei der Familie bedankt, das sie ihr verspreche eingehalten haben und bin dann schnurstracks auf den Camino-Highway um die Gruppe ein zu holen.

Tja, wie das so ist, war alles perfekt, aaaaber diesmal spürte ich auf den ersten Metern das es sich heute anders laufen lässt.
Mein Schienbein bzw. der Muskel in meinem
Schienbein zieht bei jedem Schritt wie ein Krampf...
Uiii, hab ich mein Magnesium gestern genommen?
Bin ich zu lange durchgelaufen und hätte doch meinen 5/1 Rythmus beibehalten sollen?
Liegt es am fehlenden Orangensaft?

Ich versuchte das Problem zu lokalisieren um es letztendlich ab zu stellen...

Beim nächsten Dorf, was 2km weiter gelegen war, hab ich dann kurz überlegt ne frühe Pause einzulegen um mal zu frühstücken und bei dem Schmerz zu gucken.
Ne, so früh mach ich keine Pause und verliere unnötige Zeit.
Ich möchte wie immer nach einer Stunde 5-6km runter haben.

Also auf die Zähne beißen und durchziehen..
Hat bei allen anderen Schmerzen bis hier hin auch geklappt...

Nach 5km war der Schmerz dann wirklich verschwunden.
Vermutlich durch die wechselnde Belastung?!

Vorher war ich auf der Landstraße bzw. auf Teer geradeaus gegangen und dann kamen die ersten Steigungen querfeldein...

Da werden die Muskeln ja dann ganz anders belastet und somit verschwand auch, denke ich mein Schmerz.

Als ich den gefühlten 20igsten steilen Hügel erklimm, fragte ich mich, warum ich so Düsen will.
Wenn ich in Burgos ankomme, habe ich erstmal einen Tag Pause.
Das Hostel für die nächsten 2 Nächte ist auch schon gebucht und die Mädels würden nicht weglaufen.

Just als ich den Gedanken greifen konnte, tauchte eine Dame am Hügel vor mir auf, die ich am Vortag schon immer bei unseren Pausen sah.

Sie sah jedesmal ziemlich fertig aus und kam immer gerade an, wenn wir wieder los machten.

Da ich ja jetzt geübt war, angeschlagene Leute am Camino mit zu ziehen, suchte ich einfach mal die Unterhaltung.

So verschlossen wie sie am Vortag wirkte , war sie dann garnicht.
Sie wirkte ein bisschen befreit, einfach mal Plappern zu können und erwiederte mein Ansprechen mit ganzen Sätzen , sowie einem
Kleinen Witz.

Wenn jemand am Camino alleine sein will, kommen meistens nur knappe Sätze und stammelnde Worte, gepaart mit krampfhaften Versuchen dabei zu Lächeln.

Da es hier nicht den Anschein hatte, blieb ich also im Gespräch und fragte wo sie herkam.

Flavia aus Brasilien, stellte sie sich vor.

Flavia kam aus São Paolo, wo es anscheinend seriöser und strukturierter als im wilden Rio zuging.

Sie berichtete mir, das sie den Jakobsweg läuft, weil sie Jahre lang zu viel gearbeitet hat und immer nur gegeben hat, aber nie zurück bekommen hat.

Sie ist Architektin für Krankenhäuser...

Jetzt überlegt sie was ganz anderes zu machen.

Ähnlich wie bei Sofie aus Kanada, sie vertraute mir auch an, das sie als Lehrerin nicht mehr weiter arbeiten wolle und nun ein eigenes Massagestudio aufmachen wolle und dafür extra nach dem
Camino nach Thailand reisen würde, um das dort zu lernen.

Krasse Veränderungen die alle hier so im Kopf haben...

Ich muss sagen, das ich mittlerweile echt viele Burnout-Opfer getroffen habe und weniger die ganz harten Geschichten.

Ich hab von einer Geschichte gehört, wo eine Frau mit ihrem Sohn den Jakobsweg lief und der Junge dann zu einem älteren Mann ging und bei ihm spielte.
Als der Mann dann den Jungen fragte , wie er den Weg fände, sagte der Junge, dass er es sehr schön fndet, aber schon ein wenig traurig wäre, weil er und seine Mama den Weg gehen, da der Vater verstorben ist.

Das sind harte Brocken!!!!!
Und sowas hört man links und rechts öfter...

Zum Glück habe ich bis jetzt wie gesagt eher die Arbeitsopfer kennengelernt.
Die anderen Geschichten, sind immer schwere zu verarbeiten und man macht sich vermutlich auch mehr Gedanken, wie man dann im weiteren Verlauf drauf reagieren soll.

Menschen die Trauer verarbeiten müssen, sollten vermutlich dies auch in Stille tuen dürfen und da will man dann auch nicht stören.

Mit den Arbeitsopfern ist es aber echt interessant, das die aus allen Herren Ländern kommen.
Wer hätte gedacht das die Menschen in Brasilien zu viel im Büro arbeiten, das Leute in Kanada genauso täglich 14 Stunden im
Büro rumhocken..

Man denkt ja immer, das es so ein deutsches Problem sei.

Die Globalisierung hat also auch nicht vor den eher relaxten Ländern halt gemacht.

Wenn man das alles so aus Deutschland beobachtet, denkt man ja , die genießen ihr Leben und sind nicht so doof nur für die Arbeit zu leben..

Die Wirtschaft hat sie alle gekriegt, egal wo...

Zurück zu Flavia, die mir dann noch von ihrer Tierliebe berichtete und das sie sogar mal in einem Park gewohnt hat, wo freilebende Affen rum sprangen.

Ob sie wirklich Park meinte, oder nen Haus im Zoo, war schwer zu entschlüsseln, da ihr englisch genauso schlecht war, wie meins ;)

Insgesamt wirkte sie recht stark, was wohl dem Sternzeichen Skorpion zu zu schreiben war ;))

Dennoch war sie wieder jemand, die mit Schmerzen im Beinen und Füssen zu kämpfen hat.
Daher liefen wir bei der Unterhaltung recht gemäßigtes Tempo.

Wir waren aber positiv überrascht, als wir dann ein Mittagstisch mit den ganzen Pilgerern sahen und wussten, das wir die Halbzeit erreicht hatten.

Für mich hieß das 10 km und für sie schon 13,5 km, da sie ein Dorf vor Ages gestern gestartet ist.
Die meisten konnten gestern nicht mehr weiter und haben sich ihrem Schicksal in der schrecklichen Herberge in Ortega ergeben.

Es war auf jedenfall schön zu sehen, das wir zwar langsam waren, aber durch das quatschten, die Zeit so schnell verging, das man garnicht merkte wie weit man gelaufen ist.

Als wir unser Menü holten und an unseren Tisch gingen, fragte ich eine deutsche 3er Gruppe ob sie wüssten wie weit es noch wäre.
Als man sich nicht ganz einig wurde, wollte einer genauer schauen.
Die anderen Beiden wollten diese Verzögerung aber nicht hinnehmen und sind schon einfach los gestiefelt.

Der ca.2m große Herr mit ziemlich langen Bart,Pilotenbrille und Kaputzenjacke, war davon nicht irritiert und teilte mir dann mit, das es noch 11km sind.

Anscheinend war er aber froh jemand anderen deutschen zu treffen und plauderte auch gleich munter weiter.

Er käme ursprünglich aus dem Münsterland aber nun seit 1992 aus Berlin.
Den Besitzer vom Berghain kennt er persönlich, die Besitzerin vom schmutzigen Hobby ist seine beste Freundin, mit der er im
Urlaub war, Café Moskau und andere Projekte in Berlin hat er von den Anfängen an begleitet und hat bei mitgewirkt...
Wem die Sachen nichts sagen, der wird die Berliner Partyszene nicht so gut kennen ;)

Als ich schmutzige Hobby hörte,
fragte ich dann ebendso Freischnautze ob er viel in der Gaycommunity zu tuen habe.
Mein Riecher bestätigte sich dann auch direkt ;)

Er hieß Christian, ist 49 Jahre alt, schwul und anscheinend hat er viel mit B und C Promis in Berlin zu tuen.

Eine gefühlte halbe Stunde erzählte er mir non stop, das er nie Drogen genommen habe, aber dennoch viel in der Partyszene mit gewirkt hat, das er gerade ein neues Büro aufmacht und deswegen gerade Zeit hat den Camino zu gehen und das er danach noch nach Mexiko wollte.

Kennt ihr das, wenn einer aufeinmal was sagt, das garnicht passt, als wenn er es aber unbedingt irgendwo rein schieben wollte, damit du es weißt?

Naja, so erfuhr ich mitten zwischen Berliner Party und Himmalaya-Reisewünschen, das ja viele auf jüngere stehen, aber ihm das ja garnicht so wichtig ist. Er sei eher sexuell abgeneigt, da ja jüngere so unerfahren seien...

Nunja, danke für die zwischengeschobene Information ;))

Nach wie gesagt , gefühlten 30min, verabschiedete er sich freundlich und meinte, wir sehen uns bestimmt wieder.

Ich meinte, sofern der Camino das möchte ganz bestimmt!

Mal sehen!

Er war auf jeden Fall der bunteste Vogel den ich bis dahin auf dem Camino kennenlernen durfte.
Hab ich ihm auch genauso gesagt und gebeten, das er das bitte als Kompliment und nicht als Beleidigung ansehen solle.

Er war auch wirklich sympathisch, auch wenn mich die Situation mit den schrägen Storys ein wenig überrumpelte.

Lustig war auch, das er Flavia völlig ignorierte und garnicht erst versuchte auf Englisch zu reden, das sie ihn verstehen konnte.
So saß die Arme ne halbe Stunde neben mir und musste unserem deutschen Genuschel zuhören, ohne nur ein Wort zu verstehen ;)

Sonst hab ich das immer nur umgekehrt gesehen.
Männer die an unseren Tisch kamen und mit den Mädels redeten, aber mich völlig ignorierten.

Kein Blickkontakt und wenn gefragt wurde woher alle kommen, reichte es, wenn alle Mädels geantwortet haben und dann wurde direkt weiter geplappert, ohne zu mir zu schauen und zu fragen wo ich herkomme.
Daran hatte ich mich aber mittlerweile  auch schon gewöhnt.

Ungewohnt es nun durch einen schwulen andersrum zu erfahren ;))

Da ja mein Onkel schwul ist und ich die Schwulenszene mittlerweile wie meine Westentasche kenne, war es irgendwie lustig das ich erst die Lesben kennengelernt habe und nun Christian.

Mich holt die Gaycommunity immer wieder ein.

Wirke ich vielleicht doch schwul auf andere ??? ;))))

Nachdem wir fertig gegessen haben, sind wir dann wieder weiter, plauderten munter vor uns hin und sie erklärte das sie morgen mit dem Bus ein paar Etappen überspringen muss, da sie nur 20 Tage für den ganzen Camino hat.
Sie fährt wohl vor bis nach Lyon, wo ich unbedingt ganz bald auch hin will.
Die Stadt soll ja wirklich Hammer sein.

Heute ist aber erstmal Burgos auf dem Programm, welches wir dann auch um 15:30Uhr erreichten.

Es war wie ich es mir erhofft hatte.
Langsam gegangen, den ganzen Weg getratscht, irgendwann bist du da und weißt, endlich einen Tag Pause .

Wobei ich sagen muss , das mal wieder die letzten 2 km die Füße kurz vorm explodieren waren.

Ich muss die mir mal unbedingt an meinem
Cheatday massieren lassen.
Hab das Gefühl die fallen bald ab ...

Als wir ankamen hab ich gefragt ob Flavia mit uns heute Abend essen möchte, damit sie nicht so alleine ist.

Sie willigte ein und meinte , das sie aber erstmal schlafen gehen müsse und ein wenig Energie tanken müsse.

Wir tauschten Facebook Accounts aus und konnten so alles weitere ausmachen.

Beim Hostel angekommen musste ich feststellen, dass 2 Zimmer auf mich gebucht waren.
Was hab ich gemacht??

Anscheinend ein Doppelzimmer und ein Einzezimmer gebucht.

Die Dame rief den Chef und der war zum Glück ganz hilfsbereit.
Er rief bei booking an, wo der Operator „Miguel“ mir dann in einem sowas von freundlichen Ton mitteilte, das es garkein Problem sei und man das für 18Euro stornieren könne.
Puhhhh, sonst hätte mich das 80 Euro mehr gekostet.

Schnell mit den Mädels, die natürlich schon da waren, abgesprochen das wir uns um 19 Uhr treffen und dann ab aufs Zimmer.

Endlich auf dem Zimmer angekommen hab ich dann auch erstmal ein Schläfchen gemacht.

Als wir Abends dann in die Stadt gingen, muss ich sagen das Burgos echt schön ist.
Ein paar Besserwisser auf dem Weg meinten das sie da keine Pause machen würden , da Burgos total hässlich sein soll.

Alleine die alte Kirche, der Torbogen zur Stadt, oder generell die Altstadt, einfach nur Hammer.

Wir haben Tapas genossen, sind noch ein wenig spazieren gegangen und haben den abendlichen Spaziergang sehr genossen.

Wenn man mal in der Nähe sein sollte, einfach mal die Altstadt besuchen, traumhaft...

Flavia haben wir dann verabschiedet und werden wir vermutlich auch nicht wieder sehen.
Auch solche Begegnungen muss man mal haben.
Der Tag bzw. das Laufen mit ihr, war auf jeden Fall sehr angenehm.

Die beiden Irinnen Fiona und den Geist verabschieden wir dann morgen.

Das ist dann wieder ein wenig emotionaler, da man ja jetzt auch ein paar Tage zusammen gelaufen ist.

Mein zweiter Abschied also und wieder ein neues Kapitel ?

Wir werden sehen!

Jetzt erstmal den Tag Pause genießen und Kräfte auftanken ;)

Habt euch wohl ;)

Anekdote des Tages:
Es gibt mehr homosexuelle, anonyme Spaziergänger auf dem Jakobsweg, als man denkt ;)