Roncesvalles - Zubiri

50,0 km

Gemeinsam sind wir stark

Am nächsten Morgen bin ich dann wieder mal unfreiwillig geweckt worden.
Selbst in einem 80 Euro Hotel, was für Jakobsweg-Verhältnisse ziemlich teuer ist, hat man nicht mal seine Ruhe!
Die ersten Frühpilgerer machten sich wieder lautstark ab 7:30Uhr Uhr bemerkbar und ich wurde unsanft aus dem Schlaf gerissen.
Nach ein paar weitern Einschlafversuchen, bin ich dann um 8Uhr aus dem Bett geklettert und habe langsam mein Abmarschritual abgespielt.
Um 8:45Uhr bin ich dann überpünktlich zum vereinbarten Treffpunkt gewatschelt und war entzückt, das meine irischen Schutzengel auch wirklich dort an zu treffen waren.
Nach einem kurzen, wie es mir nach diesem Horrortag gestern ging, sind wir dann langsam aufgebrochen.

Irgendwie startete der Tag sehr befreiend!
Wohlwissentlich, das man die angeblich härteste Etappe hinter sich hat, wohlwissentlich das man ab jetzt 2 smarte Wegbegleiter hat und nicht alleine laufen muss, wohlwissentlich das diese Etappe fast nur bergab geht.

Bis auf schwere Beine, blieben ich und auch meine Wegbegleiter weitestgehend von Blessuren vom Vortag verschont.
Der vermutete Muskelkater und Blasen an den Füßen, blieben zum Glück aus.
Hierbei sollte man erwähnen, das wir alle so unsere kleinen Hilfsmittel hatten.
Mir hat Voltaren für die Waden und Hirschtalgsalbe für die Füße, vorm schlafen gehen sowie zum aufstehen, sehr geholfen.

Dennoch blieb es nicht aus, das mit ansteigenden Km, Schienbeine und Waden langsam doller und doller schmerzten!
Der Körper weiß schon auf sich aufmerksam zu machen, wenn man ihn von 0-100 mit solch einer Herausforderung bearbeitet.

An diesem Tag, lernte ich, das man Schmerz einfach ignorieren muss.
Wenn du diese kleinen Stiche und Rufe ignorierst, betäubt der Körper das mit der Zeit von ganz alleine.

Der größte Gegner in dir ist dann nurnoch dein Kopf!
Für wen oder was mach ich das eigentlich,
warum lieg ich nicht am Strand und bezahle auch noch Geld dafür sich 32 Tage zu quälen, ist es noch weit,geht es dahinten etwa schon wieder Berg auf...
Der Kopf findet viele Wege um dich auf den moralischen Sinkflug zu führen.
Als wolle der Körper über deinen Kopf versuchen Kontakt auf zu nehmen, weil du den stumpfen Schmerz ignorierst!

Jetzt kommt eine super weise Erkenntnis, die aus dieser Beobachtung resultierte ;)

Wer den Schmerz ignoriert, sollte nie vergessen auch den Kopf zu ignorieren ;)

In diesem Zusammenhang kamen mir die ersten tiefgründigen Gedankengänge im Bezug auf das Denken im Alltag!
Über den inneren Schweinehund, den man stets hört, aber selten weiß, wo er genau sitzt.

Er sitzt definitiv und ohne Zweifel in unserem Kopf!

Egal welche Ausrede der Kopf dir auftischt, damit du eine Sache nicht angehst, egal was er dir erzählt, warum du lieber nichts machen solltest, egal wie sehr er dich belügt, warum du etwas nicht zuende bringen solltest, letztendlich ist er der Grund für dein Versagen!
Nicht die Geschichte die er drum herum aufbaut.

Unser Kopf ist Glück und Fluch zugleich!

So sehr er in brillanten Momenten uns hilft im Leben weiter zu kommen, so sehr tischt er uns die schönsten Geschichten auf, warum wir von einer sinnvollen Sache ablassen sollten.
Wie ein magisches Spiegelkabinett, welches genau die Bilder produziert, die du brauchst um Scheitern und Faulheit recht zu fertigen.

Grausam, den Feind im eigenen Bett zu haben ;)

Die Lösung die sich mir also anbot, war eindeutig;

Löse deinen Kopf und deine Gedanken vom negativen Stress

Klingt banal und wie aus ner Zeitschrift von Dr.Seelenklemptner abgekupfert, aber du wirst überrascht sein wie effektiv es ist, wenn du einfach nicht mehr zuhörst.

Wenn ein Freund dir die ganze Zeit jeden seiner Fehler schön redet, fängst du doch auch irgendwann an ihm keinen Glauben mehr zu schenken und hörst zum Teil garnicht mehr richtig zu, wenn er dir wieder mal erklärt warum er den selben Fehler wieder begangen hat.
Auch dein Freund wird dir die schönsten Geschichten erzählen, das du doch Verständnis haben musst und es doch total logisch ist, was er dir erzählt.
Trotzdem lässt du dich irgendwann nicht mehr täuschen und schaltest auf Durchzug...
Zumindest die meisten, die aus Fehlern lernen ;)

Warum glaube ich also jedes Mal dem inneren Schweinehund, das es besser ist, sich auf die Couch zu legen um sich geistig zu regenerieren, als zb. zum Sport zu gehen, obwohl ich durch Studien, Berichte und Logik weiß, das es genau das Gegenteil ist?!

Ich will mich nicht bewegen und mein Kopf redet es mir schön, weil er mich bei meinem Willen unterstützen möchte!
Ob er dabei lügt, ist ihm egal, er will nur das du dich wohl fühlst und ihm Glauben schenkst.

Neue Erkenntnis also diiiiiirekt angewandt und sobald ich mir Gedanken über was schlechtes auf dem Weg gemacht habe, sofort den Gedanken abgebrochen und an was schönes gedacht.

Ist am Anfang ungewohnt und man muss öfters gedanklich nachjustieren, am Ende ist es aber so, dass der Kopf dann lieber ganz aufhört zu sprechen und stattdessen du dann einfach deine Umwelt ungefiltert aufnehmen kannst.

Somit war der zweite Tag wirklich spielerisch machbar.
Wohl bemerkt das ich innerhalb 2 Tagen gewiss kein neues Fittnesslevel erreicht habe und 25km weiterhin ziemlich belastend für meinen Körper sind.

Wenn ich aber dem Kopf nicht zuhöre beim fluchen, funktioniert der Körper wie eine Maschine!
Er setzt einen Fuß vor den anderen und beginnt einen Rhythmus zu entwickeln.

So habe ich mich dann auf dem Weg irgendwann nurnoch auf meine Weggefährten konzentriert.

Dabei ist mir dann aufgefallen, wie tough diese beiden Mütter sind.
Wie stolz und und stark Iren sind.
Welch unglaublich tollen schwarzen Humor sie haben können.
Ich war phasenweise beeindruckt, wie die beiden einfach durch marschierten.
Wohlgemerkt genauso ungeübt wie ich und haben vermutlich das eine oder andere Jahr länger auf diesen Planeten verbracht.

Wenn mal gejammert wurde, dann nur mit dem berühmten englischen F***Wort und in Verbindung mit sämtlichen Nomen und Adjektiven , die die auslösende Situation gerade hergab ;)

Genau mein Geschmack!
Nicht gegenseitig demoralisieren, sondern gegenseitig pushen.
Härte zeigen, auch wenn die Schwäche gerade an die Oberfläche will.

Somit rockten wir diese Etappe wirklich meisterhaft.
Getragen von flinken Füßen und einem starken Willen, den wir 3 Musketiere nach außen strahlten.

Erwähnenswert war somit nurnoch das Mittagsessen, welches für gewöhnlich bei den meisten Pilgerern stets zur Halbzeit der Etappe abgehalten wird.
Man merkt sehr schnell, das alles so angelegt ist, das in kleinen Dörfern , die auf der Strecke verteilt sind, immer mal was zu trinken oder zum auffrischen gab und die Dörfer zur Mitte der Etappe dann mit warmen Essen und Pilgermenüs aufwarteten.
Hier trifft man dann auch immer sein unmittelbares Starterumfeld wieder, welches man unterwegs mit einem Holla oder Buen Camino begegnet.

Jeder hat da so sein eigenes Tempo und macht unterschiedlich viele kleine Pausen.
Das konnte ich dann am zweiten Tag wesentlich besser beobachten, da ab der zweiten Etappe viel mehr Leute unterwegs waren.
Viele meiden die erste Etappe, aus der vom Vortag beschrieben Problematik.
Komisch nur woher die das alle wissen, wenn ich so meine Schwierigkeiten hatte, die Gefährlichkeit aus den Reiseführern raus zu lesen ;)

Hotspot also auf den Tagestouren sind definitiv die Mittagspausen und natürlich dann das ankommen, wo alle Tagespilgerer auch meist im selben Ort schlafen.
Das führt dann dazu, das man die meisten Gesichter, die einem tagsüber beim laufen über den Weg gelaufen sind, im Restaurant, der Herberge oder den Hotspots der Dörfer/Städte, wiedertrifft.

Da wir an dem Tag ein abgelegenes Lokal gewählt haben, blieben hier große Begegnungen dann aus.

Gegen Nachmittag mussten wir dann nochmal mehre km bergab gehen, was einfacher klingt, als es wirklich wahr.
Bergab heißt starkes abbremsen der Füße in Verbindung deiner Schienenbeine.
Die mögen das ganz besonders.
Schlecht, wenn darüber hinaus kein normaler Weg vor zu finden ist, sondern der Weg, wie eine Schneise der Verwüstung mit aufgeplatzten Steinsammlung auffährt.
Richtige Gerölle lagen in diesen Schneisen.
Wieder einmal musste ich bemerken, das meine Schuhe perfekt ausgewählt waren.
Die Sohle bot selbst bei nassem Steinen kein Anzeichen von Rutschgefahr, die Mittelweiche Sohle hat viel der Spitzen und kantigen Steine abgefedert und umgeknickt bin ich auch nicht mehr, als mit nem normalen Wanderschuh auch.

Hier darf ich dann endlich mal die Wanderstöcke ins Spiel bringen.
Die meisten wandern mit keinem oder nur einem.
Ich war überglücklich 2 dabei zu haben.

Wenn es runter geht, federst du deine Schritte super ab, da du dich nur mit den Armen in die Stöcke lehnen musst...
Knickst du mal um, ist das nicht so schlimm, da nicht dein ganzes Gewicht auf den Fuß liegt...
Geht es Berg auf, stößt du dich mit den Stöcken nach hinten ab, so das du dich zur Hälfte aus den Armen und nicht nur alleine durch die Beine, den Berg rauf drücken kannst.

Diese Technik geht definitiv am besten mit 2 Stöcken.
Daher werde ich niemals mehr Wanderstöcke als Opernwerkzeug abtuen ;)

Angekommen in Zubiri sind wir ungefähr um 16 Uhr.
Die Beine waren sehr müde und ich musste mir erstmal wieder eine Obdach suchen.
Da ich immer noch nicht bereit war, mit 15 Leuten in einem Raum zu liegen, wurde es wieder ein Einzelzimmer in einer kleinen Pension.

Wenn ich Pensionen schreibe, solltet ihr wissen, das es meistens Privatwohnungen oder Häuser waren, wo einzelne Zimmer für 30-40 Euro vermietet wurden.

Diesmal hatte ich Pech und die Dusche war auf dem Flur, welche ich mir mit dem Nachbarzimmer teilen musste.
Naja, immernoch besser, als im Schlafsaal...

Wir haben dann später wieder gemeinsam zu Abend gegessen und nach einem tollen Gesprächsabend über Menschen und ihre Gewohnheiten, sowie die Unterschiede von Deutschland und Irland, sind wir dann wieder so gegen 23 Uhr ins Bett.

Da ich euch auch an diesem Punkt mit zu viel Details verschonen möchte, sei so viel gesagt, dass wir 3 die Unterhaltung sehr genossen haben und aus meiner Sicht, der gemeinsame super gerockte Tag und die tollen Unterhaltungen am Abend uns definitiv nochmal ein Level mehr zusammenschweißen ließ.

Gerade auch beim Laufen, war es einfach nur genial, wie wir 3 das selbe Tempo hatten, zur selben Zeit Pause machen wollten, wir uns mal gepusht haben, mal nur rum geblödelt haben, aber auch mal 2-3km kein Wort miteinander wechseln konnten, um den anderen einfach auch mal Zeit zum nachdenken geben zu können.

Ich ging zu Bett, mit einem sehr zufriedenen Eindruck des zweiten Tages und der Erkenntnis, das zu viel Nachdenken uns im Leben mehr schadet, als hilft.

Anekdote des Tages:
Kontrolliere deinen Kopf